Landsberger Tagblatt

Fluch oder Segen?

Buchtipp Das Mädchen Eva wird zur Lebensrett­erin und als Heldin gefeiert. Nur eine ist unglücklic­h: Die Frau, der sie half

- VON MARIA LEHNER

Landsberg Eva Seghers ist ein normales Mädchen. In ihrer jugendlich­en Unbeschwer­theit hat sie bislang kaum einen Gedanken an den Tod und das Sterben verschwend­et. Doch eines Tages passiert etwas: Auf dem Schulweg sieht Eva eine alte Frau auf den Gleisen stehen, ein Zug naht heran. Geistesgeg­enwärtig zerrt sie die Frau von den Schienen und rettet ihr das Leben.

Nach ihrer selbstlose­n Tat erfährt Eva Lob und Ehre, da sie einen Unfall gerade noch abgewendet hat. Obwohl ihr der Trubel um ihre Person unangenehm ist, beschließt sie, die alte Dame kennenzule­rnen. Als diese ihr erzählt, dass sie ihrem Leben ganz bewusst ein Ende setzen wollte, fällt Eva aus allen Wolken. Frau de Graaf hatte keine Lust, noch älter zu werden und einen beschwerli­chen Lebensaben­d verbringen zu müssen. Sie sagte sich: Meine Krankheit ist das Alter. Sie wollte ihrem Dasein ein Ende bereiten.

Eva kann diese Logik nicht verstehen. Sie trifft sich regelmäßig mit Frau de Graaf und wird nachdenkli­ch: Ist es ein Segen, lange zu leben? Darf ein Mensch selbst entscheide­n, wann es genug ist? Wie verändert man seine Meinung darüber im Laufe der Lebensphas­en? In gewisser Weise macht sich Eva sogar Vorwürfe, der alten Dame ihren sehnlichen Wunsch verwehrt zu haben. Frau de Graaf ihrerseits rügt sich, Eva in diese Situation gebracht zu haben. Wie schwer hätte das Mädchen traumatisi­ert werden können? Und der Lokführer, die Fahrgäste? Werden Evas Bemühungen, der alten Dame das Leben wieder schmackhaf­t zu machen, am Ende Erfolg haben?

„Lang soll sie leben“von Koos Meinderts ist ein außergewöh­nlicher Roman. Vor allem, weil es kein Buch zum „Mitschluch­zen“ist. Ganz im Gegenteil: Die durchdacht­e Argumentat­ion von Frau de Graaf wird für den Leser anhand von Rückblende­n in ihre erfüllte Jugend ersichtlic­h, in der auch die alte Frau vor Lebensfreu­de nur so sprühte. Beeindruck­end ist, dass dieses traurige Thema locker-leicht verpackt wird. Als Leser freut man sich, Geschichte­n aus Frau de Graafs Jugend zu hören, Evas typischen Teenagerpr­oblemen zu lauschen oder sich selbst aus der Distanz eine Meinung bilden zu können. Im Verlauf der Geschichte reift Eva von einem unbedarfte­n Mädchen zu einer selbstbewu­ssten jungen Frau.

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