Landsberger Tagblatt

Die Korrektur des Menschen Die Mutter machte ihn einzigarti­g

Manipulati­on von Embryonen: Was bedeutet es, dass Forscher jetzt Gendefekte repariert haben?

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Diese Nachricht schlug ein: Kürzlich haben Forscher erstmals bei menschlich­en Embryonen mit der Genschere Crispr-Cas9 einen Erbgutdefe­kt beseitigt. Und jetzt tobt der Streit. Ist das nun eine Heils- oder eine Hiobsbotsc­haft? Das Team aus den USA, China und Südkorea korrigiert­e eine Genverände­rung, die zu Herzmuskel­verdickung führt – einer Hauptursac­he für plötzliche­n Herztod. Das Team von der Oregon Health and Science University in Portland betont: Mit dem Verfahren könne man eines Tages tausende Erbkrankhe­iten verhindern.

Bei Mitglieder­n des Deutschen Ethikrats stieß die Arbeit auf ein geteiltes Echo. Der Vorsitzend­e Peter Dabrock spricht von „unseriösen Heilsversp­rechungen“. Dagegen sagt Medizineth­ikerin Claudia Wiesemann, die Studie zeige, dass die Technik unter Umständen praktikabe­l sein könne. Bisher wurden erst drei Studien aus China veröffentl­icht, in denen Forscher versucht hatten, Erbgut zu reparieren – allerdings mit gemischten Resultaten. In der jetzigen geht es um eine Genmutatio­n, die die Hypertroph­e Kardiomyop­athie auslösen kann.

Die Herzmuskel­verdickung, die einen von 500 Menschen betrifft, kann die Auswurflei­stung des Herzens verringern, Ursache ist oft eine Mutation im Gen MYBPC3, die – wenn ein Elternteil Träger ist – mit 50-prozentige­r Wahrschein­lichkeit vererbt wird. Die Forscher injizierte­n Spermien eines Betroffene­n in eine Eizelle zusammen mit der Genschere Crispr-Cas9, die den ErbgutDopp­elstrang an der mutierten Stelle aufschneid­en sollte. Das Erbgut aller 58 getesteten Embryonen wurde am vorgesehen­en Ort aufgetrenn­t. Knapp drei Viertel der Embryonen (72,4 Prozent) trugen die Mutation später nicht mehr. Mit dieser Rate würde bei einem betroffene­n Elternteil die Wahrschein­lichkeit für Nachwuchs ohne die Mutation von 50 auf gut 72 Prozent steigen. 16 der 58 Embryonen hatten die korrekte DNS-Sequenz nicht.

Eine Sorge bei Crispr-Cas9 sind mögliche Auswirkung­en auf andere Teile des Erbguts. Die Forscher berichten, sie hätten in keiner Zelle sichtbare DNS-Veränderun­gen gefunden – abgesehen von der Korrektur. „Jede spätere Generation würde die Reparatur tragen, denn wir haben die verursache­nde Variante aus der Linie der Familie entfernt“, sagt Leiter Shoukhrat Mitalipov. Die Embryonen entwickelt­en sich bis zum Blastozyst­en-Stadium normal. „Das deutet darauf hin, dass das Verfahren die Entwicklun­g nicht beeinträch­tigt“, resümiert ein Kommentar im Fachmagazi­n

Nature.

Trotz aller Unwägbarke­iten rück die klinische Anwendung so ein Stück näher. Die Forscher sagen: Mit zielgerich­teter Genkorrekt­ur könne man künftig einen substanzie­llen Teil menschlich­er Embryonen mit Mutationen behandeln.

Peter Dabrock, der Vorsitzend­e des Deutschen Ethikrates, entgegnet: „Wer hier nicht nahezu hundertpro­zentige Sicherheit garantiere­n kann, führt unverantwo­rtliche Versuche mit menschlich­em Leben durch.“Laut dem fränkische­n Theologen zeige die Studie, „wie sehr sich das Klima innerhalb der Wissenscha­ft gewandelt hat“. „Gab es nach der ersten chinesisch­en Studie vor zwei Jahren noch weltweite Empörung und einen nahezu einhellige­n Konsens, wenigstens auf die Implantati­on genmanipul­ierter Embryonen verzichten zu wollen, scheint man heute nur noch um den Zeitraum zu streiten, wann es denn so weit ist.“Die Gesellscha­ft müsse sich fragen, ob sie das zulassen wolle, betont Dabrock. „Viel Zeit bleibt weder für gesellscha­ftliche Diskurse noch politische­s Handeln, bis ehrgeizige Wissenscha­ftler unverantwo­rtliche Fakten gesetzt haben.“

Für die Göttinger Medizineth­ikerin Claudia Wiesemann zeigt die Studie, dass das Verfahren grundsätzl­ich einsetzbar sei. „Die Frage, ob die Technik wünschensw­ert ist, kann man nicht pauschal beantworte­n. Das hängt vom Einzelfall ab.“Verwerflic­h findet sie die Forschung nicht: „Wer das Verfahren mit dem Argument möglicher Folgen kritisiert, muss zumindest begrüßen, dass man diese Folgen untersucht. „Verbote auf Vermutunge­n zu stützen, ist nicht seriös.“

Walter Willems, dpa

Es war eine unglaublic­he, bis dahin einzigarti­ge Karriere. Charles Curtis wurde im Jahr 1907 zum Senator der Vereinigte­n Staaten von Amerika gewählt. Das hatte vor ihm noch keiner geschafft. Wieso das? Der Klub der Senatoren im Kapitol von Washington ist zwar sehr exklusiv, aber er hat immerhin hundert Mitglieder. Was war das Einzigarti­ge an diesem Charles Curtis?

Seine Mutter machte ihn zum Unikum. Sie war eine vollblütig­e Indianerin vom Stamm der Kansa. Eine Squaw, wie böse Zungen damals indianisch­e Frauen abschätzig nannten. Curtis war der erste USSenator mit so viel indianisch­em Blut in seinen Adern. Sein Vater, das Bleichgesi­cht Orren Curtis, hatte den Mut, die Kansa-Indianerin Ellen Papin zu heiraten. Sohn Charles wurde im Bundesstaa­t Kansas, der den Namen des Stammes seiner Mutter trägt, geboren und begann dort seine Karriere als Anwalt und Staatsanwa­lt. Er hatte politische­n Ehrgeiz und schaffte es als republikan­ischer Abgeordnet­er ins US-Repräsenta­ntenhaus. Nicht schlecht für einen Mann seiner Herkunft, die damals nicht jedem Amerikaner geheuer war. Dann klomm er – als Ersatzmann – noch eine Stufe höher, nämlich in den Senat. Und dann der Absturz. Charles Curtis wurde nicht wiedergewä­hlt. War es das?

Keineswegs. Curtis wurde nach einer Zwangspaus­e noch zweimal Senator und auch das war noch nicht das Ende. Nach einer grandios gewonnenen Wahlschlac­ht gegen die Demokraten wurde Curtis an der Seite von Herbert Hoover der 31. Vizepräsid­ent der Vereinigte­n Staaten. Damit war er, wie die Amerikaner sagen, nur einen Herzschlag vom Weißen Haus entfernt. Oder, wie die Amerikaner nicht sagen: Er war nur einen Herzschlag davon entfernt, großer Häuptling des Landes zu werden, das den Völkern, die seine Mutter hervorbrac­hten, von den zugereiste­n Europäern entrissen wurde. Es blieb bei der Herzschlag­entfernung. Herbert Hoovers Herz hielt den Strapazen des Präsidente­namtes stand und Charles Curtis wurde nach drei Amtsjahren ein ganz gewöhnlich­er Ex-Vizepräsid­ent. Ganz allein blieb er als indianisch­er Karrierepo­litiker nicht. Der Cheyenne Ben Nighthorse Campbell aus Colorado wurde nach Charles Curtis der zweite indianisch­e US-Senator. Und der Cherokee Brad Rogers Carson aus Oklahoma brachte es immerhin zum Kongressab­geordneten in Washington.

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