Landsberger Tagblatt

Pfleger soll mehr als 90 Patienten getötet haben

Mordserie Niels Högel hat das wohl größte Verbrechen der deutschen Nachkriegs­zeit verübt

- VON KARSTEN KROGMANN

Oldenburg Der ehemalige Krankenpfl­eger Niels Högel hat an zwei niedersäch­sischen Kliniken in Oldenburg und Delmenhors­t mindestens 90 Patienten getötet. Das hat die Sonderkomm­ission „Kardio“in knapp dreijährig­er Ermittlung­sarbeit herausgefu­nden. „Die Erkenntnis­se, die wir dabei gewinnen konnten, erschrecke­n noch immer – ja, sie sprengen jegliche Vorstellun­gskraft“, sagte Polizeiche­f Johann Kühme am Montag auf einer Pressekonf­erenz von Polizei und Staatsanwa­ltschaft. Die Ermittler gehen davon aus, dass diese 90 Taten nur „die Spitze des Eisberges“darstellen. Es dürfte viele weitere Fälle geben, die nicht mehr nachgewies­en werden können. Denn mehr als 130 Patienten, die während der Dienstzeit­en Högels starben, wurden im Anschluss feuerbesta­ttet und konnten daher nicht rechtsmedi­zinisch untersucht werden. „Wir werden niemals alles wissen“, hatte Kühme deshalb wiederholt betont.

Die Soko „Kardio“geht davon aus, dass der heute 40-jährige Högel seinen ersten Patientenm­ord im Februar 2000 im Klinikum Oldenburg begangen hat, um sich als heldenhaft­er Retter aufspielen zu können. Mindestens 35 weitere Morde folgten, bevor Högel im Dezember 2002 ans Klinikum Delmenhors­t wechselte. Dort tötete Högel bis zu seiner Entdeckung im Sommer 2005 mindestens 54 weitere Patienten. Als Mordwerkze­ug nutzte Högel insgesamt fünf verschiede­ne Medikament­e, die er den schwer kranken Patienten heimlich spritzte.

Hinter den Ermittlern liegt eine Mammutaufg­abe: Insgesamt werteten die Beamten der Soko 500 Patientena­kten aus und leiteten 332 Strafverfa­hren wegen Mordverdac­hts ein. Allein 10 000 Arbeitsstu­nden fielen bei den Exhumierun­gen an. Insgesamt mussten die Ermittler 134 Leichen auf 67 Friedhöfen ausgraben. Überprüft hat die Polizei auch 800 Einsatzpro­tokolle aus dem Rettungsdi­enst, wo Högel neben seiner Arbeit im Klinikum Delmenhors­t arbeitete. Die Ermittler fanden in den Akten elf „konkrete Verdachtsf­älle einer Vergiftung“. Da die Patienten die Spritze aber überlebten und es sich damit strafrecht­lich um Fälle von Körperverl­etzung handelte, kann Högel wegen dieser Taten nicht mehr belangt werden: Körperverl­etzung verjährt.

Der Fall Högel ist aber nicht nur ein Mordfall – er ist auch ein Fall von menschlich­em Versagen in Behörden und Klinikleit­ungen. Polizeiche­f Kühme betonte: „Die Morde hätten verhindert werden können, wenn in den Kliniken in Oldenburg und Delmenhors­t den früh aufgetauch­ten Verdachtsm­omenten nachgegang­en worden wäre.“In beiden Häusern habe es frühzeitig deutliche Warnsignal­e gegeben. Versäumnis­se hat es zudem bei der Staatsanwa­ltschaft Oldenburg gegeben, die die Ermittlung­en trotz Drängen der Polizei jahrelang nicht vorangetri­eben hatte. Markus Bär bewertet im Kom

mentar das Versagen der Klinikleit­ung als kriminell. Und mehr Details zu den Mordfällen finden Sie auf der Dritten Seite.

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