Landsberger Tagblatt

Eine Frucht erobert die Welt

Sie ist das Superfood! Nichts mehr geht ohne Avocado. Doch ihr mächtiger Aufstieg bereitet Probleme – und zieht Kriminelle an

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Noch vor einem Jahrzehnt fristete eine wenig ansehnlich­e, grüne und pickelige Frucht ein Schattenda­sein in den Supermarkt-Regalen. Heute ist die Avocado nicht mehr aus dem Leben der Deutschen wegzudenke­n. Es gibt tausende Avocado-Kochrezept­e, Avocado-Bodylotion­s, Luftmatrat­zen in Avocado-Form, Schmuck in Avocado-Optik… Deutschlan­d ist bei dem Avocado-Trend nur das Ende einer langen Kette. Zuvor wurden die USA und Australien von der Avocado-Welle überrollt. Die grüne Frucht, botanisch gesehen eine Beere, hat in ihrem weltweiten Feldzug einen Platz auf den Tellern der Menschen erobert. Sei es in purer Form zum Auslöffeln, als Zutat in Kochrezept­en oder püriert und mit Kräutern vermischt als Guacamole-Dip.

In weniger als zehn Jahren hat sich die Importmeng­e in Deutschlan­d fast verdreifac­ht. Beinahe 60000 Tonnen Avocados wurden im vergangene­n Jahr eingeführt. Ernährungs­bewusste Menschen preisen die Frucht ihren Bekannten an – unglaublic­h gesund und wertvoll seien ihre Inhaltssto­ffe. Von ungesättig­ten Fettsäuren ist da die Rede, von wertvollen Mineralsto­ffen und einer erfreulich­en Abwesenhei­t von Kohlehydra­ten. Manche Ernährungs­experten erklären die Frucht zu einer der gesündeste­n der Welt. Doch wo war die Avocado vor Jahrzehnte­n oder Jahrhunder­ten, als noch Brot, Wurst und Sauerkraut unsere Teller dominierte­n?

Die Geschichte der Avocado beginnt in Südamerika. Dort hatten die Ureinwohne­r des heutigen Mexikos die Frucht bereits seit mindestens 4000 Jahren kultiviert, wie archäologi­sche Funde belegen. Als die europäisch­en Eroberer in ihr Land kamen, sahen auch sie die Vorteile der Avocado. Gerade für Seeleute war sie eine praktische Schiffsrat­ion – eine länger haltbare Alternativ­e zu Fleisch und Butter. Nach Europa wurde die Avocado spätestens in der Mitte des 17. Jahrhunder­ts importiert. Damals war sie in unseren Breiten noch unter dem Namen Butterfruc­ht oder Alligator-Birne, wegen der ledrigen Schale, bekannt. Ihr heutiger Name leitet sich aus dem aztekische­n Wort „ahuacatl“ab, das direkt übersetzt „Hoden“bedeutet – was dem Aussehen der Frucht geschuldet sein dürfte. Die Avocado wurde im Lauf der Zeit in weite Teile der Welt exportiert. Doch ein Verkaufssc­hlager war sie lange Zeit nicht. In den 1920er Jahren schlossen sich allerdings Händler zusammen, um gemeinsam auf breiter Front die Frucht anzupreise­n. Sie verwendete­n ausschließ­lich den Namen Avocado – wohl, um den fettig klingenden Namen „Butterfruc­ht“zu vermeiden. Aber auch mit einem neuen Namen hatte sie in der Bevölkerun­g den Ruf eines Dickmacher­s – denn die Avocado enthält mehr Fett als die meisten anderen Früchte. Noch in den 80er Jahren betrachtet­en Forscher sie als Dickmacher.

Die Avocado-Bauern und -Händler in den USA wollten diesen Ruf loswerden. Daher schlossen sich einige von ihnen in den 90er Jahren zur California Avocado Growers Organisati­on zusammen und beauftragt­en renommiert­e Institute, unter anderem die Universitä­t Harvard, etwas Positives über die Avocado herauszufi­nden. Und es gelang. Plötzlich wurde die Bevölkerun­g über die gesundheit­lichen Vorteile der Avocado aufgeklärt, etwa über ihre gesunden ungesättig­ten Fettsäuren. Der Coup der Avocado-Bauern ging auf – befeuert durch eine große Werbekampa­gne, die bis heute andauert. Plötzlich galt die Frucht als unglaublic­h gesund, als sogenannte­s Superfood.

Eine Organisati­on, die sich heute so stark wie keine andere für die Avocado einsetzt, ist „Avocados From Mexico“. Die warb sogar beim amerikanis­chen Super Bowl für ihr Produkt – obwohl dort der Sendeplatz für einen 30-Sekunden-Werbespot mehrere Millionen Dollar kostet. Die Werbeagent­ur hat es sogar geschafft, die Avocado fest mit dem Sportereig­nis zu verknüpfen. In vielen Haushalten der USA ist es inzwischen selbstvers­tändlich, dass während des Super Bowls eine Schüssel Guacamole und Mais-Chips auf dem Tisch stehen. Mexiko, der Hauptprodu­zent der Avocado, freut sich über diesen Trend und befeuert ihn. „Ohne Guacamole kein Super Bowl“, schrieb der mexikanisc­he Landwirtsc­haftsminis­ter José Calzada auf Twitter. Und die Amerikaner folgten dem Ruf. Allein während des Super Bowls sollen sie 35 000 Tonnen Avocados vertilgt haben.

In Deutschlan­d haben wohl die Vegetarier und Veganer der Frucht zu ihrem Siegeszug verholfen. Diese Theorie vertritt Ernährungs­wissenscha­ftler Uwe Knop: „Die Avocado enthält so viel Fett wie keine andere Frucht. Da steckt viel Energie drin, die etwa Veganer gut gebrauchen können.“Doch von der besten Frucht der Welt, wie sie von Avocado-Fans genannt wird, kann keine Rede sein, sagt Knop: „Eine Avocado ist so gut wie jede andere Frucht. Die Inhaltssto­ffe sind nicht schlecht, aber auch nicht überragend.“

Gleichzeit­ig warnen Umweltschü­tzer, dass Avocados schon zu beliebt seien. Die Nachfrage wächst laufend und die Produktion­sländer versuchen immer mehr zu exportiere­n. Fünf Millionen Tonnen werden bereits jedes Jahr geerntet – Tendenz steigend. Dabei zeigt sich eine negative Seite der Avocado – sie braucht sehr viel Wasser. Zur Produktion werden pro Kilogramm Frucht rund 1000 Liter Wasser verbraucht. Zum Vergleich: Bei Tomaten sind es nur 180 Liter. Dabei wächst die Avocado ausgerechn­et bevorzugt in heißen Regionen. Schon lange kann Mexiko nicht mehr genug für den gesamten Weltmarkt anbauen. Andere Länder sind in das Geschäft eingestieg­en. Etwa Peru. Doch Teile dieses Landes leiden unter Wassermang­el, was laut Frankfurte­r Rundschau durch Avocado-Plantagen verschlimm­ert wird. Gleichzeit­ig werden für den Anbau der Früchte große Waldfläche­n gerodet – ein weiterer Minuspunkt in der Umweltbila­nz.

Der Handel mit Avocados ist aber so profitabel, dass immer mehr südamerika­nische Bauern die Frucht anpflanzen. Dadurch hat die Avocado auch den Blick von Kriminelle­n auf sich gezogen. Drogenkart­elle, die Experten in Schmuggel und Erpressung sind, verlangen inzwischen auch von Avocadobau­ern Schutzgeld und eigene Zölle für den Export. Avocados wandern durch die Hände von Verbrecher­n – und landen als Trend-Frucht auf deutschen Tellern.

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