Das Problem der Wettervorhersage
Experten erklären: Warum das Sorgenkind der Meteorologen „Regenwahrscheinlichkeit“heißt
Der Kirschbauer will wissen, ob er morgen seine Bäume spritzen kann. Die Band will wissen, ob sie am Abend das Open Air absagen muss. Und ich will wissen, ob ich besser mit dem Rad oder der U-Bahn ins Büro fahre. Regnet es oder bleibt es trocken? Eine Frage, die alle ständig stellen – und die für Meteorologen so schwer zu beantworten ist wie keine zweite.
Beim Deutschen Wetterdienst (DWD) sind die Mitarbeiter in dieser Hinsicht Leid gewohnt. „Wenn man mit euch ein Wochenende plant“, schimpfen Kunden in den sozialen Medien, „kauft man sich besser ’nen Frosch oder fragt ’nen Rheumakranken.“In Offenbach hört man das natürlich nicht gern. Aber die Mitarbeiter geben zu: Bei allen Vorhersagen werden die Prognosen immer besser – nur nicht beim Regen. Wieso das so ist, weiß Detlev Majewski. Er leitet beim DWD die Abteilung „Meteorologische Analyse und Modellierung“. „Niederschlag ist einer der kompliziertesten Prozesse in der Atmosphäre“, sagt Majewski und setzt an, mit Tabellen, Karten und Grafiken zu erklären, was in der Luft so alles passiert, bevor es regnet. Das ist eine ganze Menge.
Fangen wir bei den Wolken an: In der sind Tropfen, „Wolkentropfen“, jeder ein millionstel Millimeter klein. Ein Wassertropfen ist etwa einen Millimeter groß, das heißt, bis überhaupt ein einziger Tropfen aus einer Wolke fällt, müssen sich eine Million Wolkentropfen zu einem Regentropfen ballen. Das tun sie, wenn es entweder so viele sind, dass die Tröpfchen aneinanderstoßen und sich verbinden; oder wenn sie auf Widerstand treffen. Feinstaub in der Luft zum Beispiel. An Schmutzpartikeln kondensieren die MiniTröpfchen wie der Dampf an der Scheibe der Dusche. „In der schmutzigen Luft über der Stadt bilden sich eher viele kleine Tropfen“, sagt Majewski, „in sauberer Luft gibt es eher viele große Tropfen.“
Auf dem Weg nach unten kann viel passieren: Der Tropfen wird vom Wind abgetrieben und landet aus blauem Himmel weit weg von der Wolke. Also müssen die Meteorologen auch den Wind mit einbeziehen. Oder der Tropfen verdampft, weil es unten viel wärmer ist als oben. Also geht es nicht ohne Temperatur. Wer etwas über Regen wissen will, muss sich des ganzen Vorhersagemodells des DWD bedienen. Das bedeutet: 700000 Programmzeilen eines Computers, der 40 Millionen Euro gekostet hat.
„Wolkenmikrophysik“heißt dieses Fachgebiet, und hier ist noch viel Luft nach oben. Um Niederschlag besser vorherzusagen, wäre es nötig, zu wissen, erklärt Majewski, welcher Abstand in der Wolke zwischen einem Wolkentröpfchen und dem nächsten ist und ob Eis- oder Wassertropfen überwiegen. In einem Forschungsprojekt wird das gerade erprobt. „Möglich ist das“, sagt Majewski, „aber es ist kompliziert und würde die Vorhersagen um einiges teurer machen.“Die Frage des Vorhersagemodells ist das eine – das Problem der Datenbeschaffung das andere. Wetterstationen messen Temperatur, Feuchte, Regen und Wind auf dem Boden. Wetterballons und Flugzeuge holen diese Daten ein paar Kilometer über der Erde ein, Satelliten in bis zu 36000 Kilometern Höhe. Ein Riesenaufwand, der für die konkrete RegenVorhersage leider wenig bringt.
Das fängt schon bei der fast philosophisch anmutenden Frage an: Ab wann ist Regen eigentlich Regen? Wenn ein paar Tropfen fallen? Wann ist es noch Nebel und wann schon Regen? Für den DWD ist Regen,
Ein 40 Millionen Euro teurer Rechner ist ausgelastet
„wenn Wasser im Topf ist“, wie Majewski sagt. Im Garten des DWD steht eines dieser Dinger: eine schlanke Metallröhre mit einem Trichter, durch den das Wasser in ein Kännchen im Inneren fließt. Wenn der Regen nicht genau über dem Topf niedergeht, sondern ein paar Meter daneben, hat es in der Statistik nicht geregnet, auch wenn für Offenbach Regen vorhergesagt war und auf der anderen Straßenseite der Bordstein nass ist.
Reinhold Hess aus der Abteilung „Meteorologische Anwendungsentwicklung“hat es ausgerechnet: Wenn in den vergangenen sechs Jahren an einer Messstation ein Millimeter Regen vorhergesagt war, wie oft war dann was im Topf? Das Ergebnis klingt ernüchternd: in 35 Prozent der Fälle. Das Problem ist, dass die Vorhersage für ein Gebiet von 7,8 Quadratkilometer gemacht wird, der Topf hat aber nur einen Durchmesser von 16 Zentimetern. Und: „Je kleiner das Gebiet, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass die Vorhersage zutrifft“, sagt Hess.
Macht man das Gebiet größer, wird die Vorhersage besser, „aber dann nützt sie niemandem“. Wer wissen will, ob er den Garten gießen muss oder das Picknick absagen soll, will das sehr lokal wissen. „Darum arbeiten wir mit Wahrscheinlichkeiten“, so Hess. Frankfurt, Dienstag, 9 Uhr, 30 Prozent Regenwahrscheinlichkeit. Was heißt das? In einem Drittel des Stadtgebiets? 20 Minuten in dieser Stunde? „Es heißt“, sagt Hess, „dass es in 100 vergleichbaren Situationen in der Vergangenheit 30 Mal geregnet hat“.
Nicht um Wahrscheinlichkeiten, sondern um Fakten geht es bei Peter Finger. Er sitzt im Weltzentrum für Niederschlagsklimatologie des DWD und schaut sich an, wie das Wetter in der Vergangenheit war – nicht wie es (vielleicht) in den nächsten Tagen wird. An 140000 Stationen weltweit wird Niederschlag gemessen, rund 3000 davon stehen in Deutschland.
Wie war der Niederschlag im letzten Monat? Wie war er im Durchschnitt der letzten 60 Jahre? Für die Entscheidung Rad oder Auto hilft das nicht, sagt Finger. Aber Finger und seine Kollegen vergleichen die im Nachhinein gemessenen Daten auch mit der damaligen Prognose. Weichen sie stark voneinander ab, werden die Vorhersagemodelle angepasst.
So gut es eben geht. Regen- und Gewitterwolken sind und bleiben auf absehbare Zeit die größte Herausforderung der Meteorologie. „Die Natur führt uns immer wieder an unsere Grenzen“, sagt Hoffmann aus der Vorhersagezentrale. „Unser größter Freund ist der Konjunktiv.“Sandra Trauner, dpa