Pille gegen Neid
Manchmal schaue ich mir andere Menschen an und denke: Ach, so glücklich wäre ich auch gern, so jung, so schlank und schön, so unbeschwert oder selbstbewusst. Das sind Gedankenspiele, die unglücklich machen und undankbar. Weil solches Grübeln so düster und bitter macht, würde ich gern eine Pille dagegen erfinden. Es würde genügen, diese Pille hätte zwei Wirkungen: Zuerst müsste sie mir für einen Augenblick die Hellsichtigkeit dafür geben, ob die Fassade, die mich grade so beeindruckt und neidisch macht, wirklich echt ist. Vielleicht ist dahinter eine Not, die ich nicht gesehen habe? Vielleicht ist dahinter eine Leere, die ich ungern eintauschen möchte? Dafür hätte ich gerne einen besonderen Blick.
Eine zweite Wirkung bräuchte die Pille noch: Ich könnte für einen Moment in die Zukunft derer sehen, die ich da gerade bewundere. Was wird das Leben von ihnen noch verlangen? Welches Schicksal werden sie zu meistern haben? Warum sollte ich einem Menschen, der mir heute wie ein eitler Angeber erscheint, seinen Moment der Stärke und des Glücks nicht gönnen? Wer weiß, was ihm noch bevorsteht?
Der Philosoph Platon soll gesagt haben: „Sei gütig. Denn alle Menschen, denen du begegnest, kämpfen einen großen Kampf.“Und manchen steht er noch bevor: ein Kampf ums Leben und die eigene Gesundheit, ein Kampf um eine große Liebe, ein Kampf um ein Stück Gerechtigkeit, ein Kampf gegen einen alten Schmerz oder ein Kampf um eine tiefe Wahrheit. Die Pille gegen Neid hätte die Nebenwirkung, gütig zu machen, sie würde im Herzen dieses warme Gefühl erzeugen, das Menschen Gutes gönnt – allen Menschen. Ob sie ein Verkaufsschlager wird? Ob sie verboten wird, weil sie den Konsum dämpft? Ob sie nur noch heimlich weitergegeben werden kann in dunklen Kirchenecken? Egal! Wer sie mal probiert hat, wird sie wieder wollen. Gott stärke uns und tröste uns in dem, was unser großer Kampf ist. Und er schenke uns ein gütiges und großzügiges Herz!