Landsberger Tagblatt

Molto famoso: Warum die Italiener die Wiesn so lieben

Serie Die enge Beziehung der Italiener zum Oktoberfes­t ist ein Phänomen. Über die Jahre aber hat sich einiges geändert. Eine Geschichte über Klischees und Anekdoten und die Frage, warum die Nachbarn aus dem Süden die Wiesn so lieben

- VON ULI BACHMEIER

München Commissari­o Angerer von der Polizei in Bozen ist nicht zu sprechen. Er ist in Urlaub. Das ist schade. Wo auch immer in München man versucht, die tiefere Beziehung der Italiener zum am Samstag beginnende­n Oktoberfes­t zu ergründen – überall heißt es: „Fragen Sie Commissari­o Angerer. Der kennt sich aus.“Nun gut, das geht halt jetzt nicht. Aber er ist zum Glück nicht der Einzige, der helfen könnte, dieses Phänomen zum Finale unserer Italien-Serie zu erforschen. Und ein Phänomen ist es zweifellos: Kein anderes Volk hat es geschafft, dass ein Wiesn-Wochenende nach ihm benannt wird. Über kaum eine Gästegrupp­e gibt es so viele Legenden, Klischees und Anekdoten.

Das beginnt schon bei der Sache mit den Wohnwägen und Wohnmobile­n, die sich zur Wiesn-Zeit angeblich in einer langen Schlange in Richtung Norden über den Brenner wälzen. Die Schlange sei so dicht und so lange, dass die Astronaute­n auf der Internatio­nalen Raumstatio­n mit bloßem Auge erkennen könnten, dass der italienisc­he Ansturm aufs Oktoberfes­t eingesetzt hat. Das setzt sich fort mit dem Klischee von den heißblütig­en und lautstarke­n „Ragazzi“, die in Rudeln auf der Wiesn einfallen, nur „Birra Bavarese“und „Amore“im Sinn haben, aber das Wort „Gemütlichk­eit“nicht ausspreche­n können. Und es endet mit allerlei Geschichte­n über wilde Burschen, die sich nicht zu benehmen wissen und brave Handwerker, die längst zu Stammgäste­n geworden sind und ihrem Wirt Geschenke mitbringen.

Renato Cianfarani muss lachen, wenn er diese Geschichte­n hört. Er ist der Generalkon­sul der Republik Italien in München und macht zur Wiesn-Zeit seine ganz eigenen Erfahrunge­n. Rein praktisch betrachtet bedeutet das Oktoberfes­t für ihn und seine Mitarbeite­r mehr Arbeit. Es hagelt Anfragen aus Italien: Muss ich Eintritt zahlen? Gilt in Deutschlan­d der italienisc­he Führersche­in? Fährt die U-Bahn in München die ganze Nacht? Wie viel kostet eine Maß Bier?

Dass seine Mitarbeite­r in unangenehm­eren Einzelfäll­en tätig werden müssten, also ihre Landsleute zur Polizei begleiten oder ihnen im Poli-

zeigewahrs­am zur Seite stehen müssten, komme nicht mehr so oft vor, seit sich Commissari­o Angerer und seine Kollegen auf dem Oktoberfes­t als „interkultu­relle Vermittler“betätigen. Das bestätigen auch die Wiesn-Wirte Toni Roiderer (Hacker-Zelt) und Wiggerl Hagn (Löwenbräu-Zelt). Commissari­o Angerer, als Südtiroler zweisprach­ig

und in beiden Kulturen zu Hause, mache seine Sache sehr gut.

Als (nach Schätzung der beiden Wirte) vor etwa 20 oder 25 Jahren der italienisc­he Ansturm aufs Oktoberfes­t einsetzte und die Gäste aus dem Süden das mittlere Wochenende zum „Italiener-Wochenende“machten, war’s offenbar noch nicht so einfach. Da war das Klischee von

den wilden Burschen aus dem Süden noch Realität. Sie seien „nur in Gruppen“gekommen, „sehr laut“gewesen und hätten sich im Bierzelt „gegenseiti­g hochgescha­ukelt“, berichtet Hagn. Roiderer erinnert sich: „Da gab’s welche, die haben der Rosenverkä­uferin die Köpfe von den Rosen abgeschnit­ten und ihr dann geschenkt.“

Guter Rat war teuer. Hagn versuchte, die Gruppen im Zelt etwas zu trennen und in verschiede­nen Reihen zu platzieren. Später seien er und einige seiner Wirte-Kollegen auf die List verfallen, den Italienern zu erzählen, dass sich ihre Landsleute im Hofbräu-Zelt treffen. Doch das habe auch nix gebracht. Als Hofbräu-Wirt Günter Steinberg gemerkt habe, was da los ist, so erzählt Hagn, habe er sich revanchier­t und ihm die Australier geschickt.

Doch das ist Schnee von gestern. Aus den „wilden Italienern“von einst seien längst gern gesehene Stammgäste geworden. Eine Gruppe Automechan­iker aus Udine, die seit rund zwei Jahrzehnte­n zu ihm komme, bringe sogar immer wieder mal Geschenke mit – mal eine Kiste Wein, einmal sogar einen kompletten San-Daniele-Schinken fürs Personal im Zelt. „Die haben jedes Jahr eine Riesenfreu­d’, das ist ein Fest für die“, sagt Hagn. Sein Kollege Roiderer bestätigt, dass es eine treue Stammkunds­chaft aus Italien gibt. Die Gäste aus Italien seien älter geworden, während die Wiesn insgesamt jünger geworden sei. Generalkon­sul Cianfarani mag das nicht recht glauben. Nach seiner Beobachtun­g sind es nach wie vor „überwiegen­d junge Leute“, die aus Italien kommen. Wie viele es sind, lässt sich schwer sagen

Bleibt die Frage nach dem Warum. Wie kann sich ein Volk von Weintrinke­rn, das zudem nicht dafür bekannt ist, stundenlan­g im Wirtshaus zu sitzen und literweise alkoholisc­he Getränke in sich hineinzusc­hütten, derart für ein Bierfest im Ausland begeistern. Die Antwort Cianfarani­s fällt recht eindeutig aus. Er nennt drei Gründe. Erstens: die Stimmung. „Die Italiener kennen das Wort Gemütlichk­eit nicht, aber sie erleben am Oktoberfes­t, was bayerische Gemütlichk­eit ist.“Schon deshalb seien München und die Wiesn bei ihm daheim sehr berühmt, „molto, molto famoso“. Zweitens: das Bier. Bayerische­s Bier werde in Italien sehr geschätzt. Und drittens: die Sicherheit. „Die Italiener fühlen sich in München sehr wohl und sicher.“

Wem das als Erklärung nicht reicht, dem bleibt wohl nur noch eines: Commissari­o Angerer fragen.

Kleiner Nachtrag: Dass der Wohnmobil-Corso am Brenner von der ISS aus mit bloßem Auge zu sehen sei, ist Quatsch. Das ergab eine Nachfrage beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

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Foto: Ralph Peters, imago Das zweite Wochenende des Münchner Oktoberfes­ts gilt traditione­ll als das „Italiener aus dem Süden vielen Wirten und der Polizei einige Sorgen. Wie sieht es heute aus? Wochenende“. Einst bereitete der Ansturm

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