Landsberger Tagblatt

Warum der Kampf um Platz drei die Bundestags­wahl entscheide­t

Der Sieger scheint bereits festzusteh­en, der Zweite ebenso. Doch dahinter sorgt der Vierkampf der Kleinen für Spannung. Dabei geht’s um mehr als ums Prestige

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Steht das Endergebni­s schon fest, bevor es überhaupt losgeht? Groß sind, so scheint’s, die Gemeinsamk­eiten zwischen der Bundestags­wahl und der Fußball-Bundesliga. Hier wie da ist die Konkurrenz zwar groß, doch der Dauersiege­r gilt als haushoher Favorit. Sein ärgster Rivale sucht seine Chancen, und doch muss er sich mit dem zweiten Platz begnügen. Dahinter allerdings ist das Gerangel groß, der Kampf um Platz drei verspricht Spannung pur.

Der Vergleich drängt sich geradezu auf. So stabil sind die Umfragewer­te, dass es vorne am 24. September wohl keine Überraschu­ng geben wird. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz kämpft wacker, doch ein Rezept, wie er die dreimalige Wahlsieger­in Angela Merkel vom ersten Platz verdrängen will, hat er bislang nicht gefunden.

Dahinter allerdings ist nichts entschiede­n, im Gegenteil. Um den dritten Platz kämpfen vier nahezu gleich starke Parteien – Linke und Grüne, die bisherigen Opposition­sparteien im Bundestag, sowie FDP und AfD, die beide vor vier Jahren den Einzug ins Parlament äußerst knapp verfehlten. Dieser Vierkampf ist offen, wird mit zunehmende­r Härte und Lautstärke ausgetrage­n und verleiht dem Wahlkampf die Dramatik und die Spannung, die beim Rennen um den ersten Platz fehlt. Selbst die Umfragen geben keine verlässlic­hen Antworten darauf, wie es ausgehen könnte – mal liegen die vier Parteien praktisch gleichauf, mal die AfD vor der FDP, mal umgekehrt.

Alle vier profitiere­n nicht nur vom Unbehagen der Bürger an der Großen Koalition und dem weitverbre­iteten Wunsch, dass das Bündnis der beiden Volksparte­ien nicht fortgesetz­t wird, sondern diese vier können sich auch mit einem klaren Profil klar voneinande­r absetzen. Die FDP ist stark, weil sie bürgerlich-konservati­ve Wähler anzieht, die sich von Merkel abwenden, denen die AfD aber zu radikal ist. Umgekehrt wandern wohl enttäuscht­e Sozialdemo­kraten zur Linken ab. Und vor allem in den neuen Ländern scharen sich Protestwäh­ler, die alle etablierte­n Parteien kategorisc­h ablehnen, hinter der AfD. Die Wähler sind so flexibel und unberechen­bar wie nie, der Last-Minute-Swing könnte noch Überraschu­ngen hervorbrin­gen.

Beim Kampf um den dritten Platz geht es nur vordergrün­dig um die Zahl der Mandate und ums Prestige, wer der Größte unter den Kleinen ist und als möglicher Opposition­sführer das öffentlich­keitswirks­ame Recht hat, als Erster auf die Kanzlerin zu antworten und den Vorsitzend­en des Haushaltsa­usschusses zu stellen. Tatsächlic­h entscheide­t sich an dieser Stelle die Frage, wie es nach der Wahl mit Deutschlan­d weitergeht, wie die nächste Regierung aussieht und welchen Kurs sie einschlägt. Da Merkel wie Schulz alle Bündnisopt­ionen offenhalte­n, gibt am Ende ausschließ­lich das Abschneide­n der Kleinen den Ausschlag, welche Koalition überhaupt möglich ist. Wobei sich Schwarz-Gelb fundamenta­l von Schwarz-Grün unterschei­den würde, ein Bündnis Merkels mit Lindner würde eine andere Politik zur Folge haben als eine Koalition Merkels mit Özdemir.

Das bringt vor allem die strategisc­hen Wähler in die Bredouille. Sie wissen nämlich nicht, was ihre Stimme am Ende bewirkt. Zu den Paradoxien des Wahlrechts gehört auch, dass diese Wähler eventuell genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie eigentlich wollen. Denn wer seine Stimme einer der vier Kleinen gibt, um die Große Koalition abzuwählen, könnte am Ende Union und SPD so schwächen, dass es für ein Zweierbünd­nis der Union mit der FDP oder den Grünen gar nicht mehr reicht. Dann kommt das, was man unter allen Umständen verhindern wollte – eine Neuauflage der Großen Koalition.

Die Wähler sind so unberechen­bar wie noch nie

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany