Landsberger Tagblatt

Besser leben in Afrika

Fluchtursa­chen Kriege im Nahen Osten und wirtschaft­liche Not sind für den Flüchtling­sdruck auf Europa verantwort­lich. Dagegen gibt es Strategien. Kern ist: Die Menschen sollen zu Hause ein gutes Leben führen können

- VON WINFRIED ZÜFLE

Bevor Mary zur Machete greift, zieht sie die Gummistief­el an. Man kann ja nie wissen, welches Getier in dem Unkraut herumkriec­ht, das sie nun mit kräftigen Hieben beseitigen wird. Unter ihren Bäumen duldet „Madam Mary“, wie sie genannt wird, keinen Wildwuchs. Sie muss schließlic­h die Pflanzen pflegen, die ihren Lebensstan­dard sichern.

Mary hat eine kleine Farm in der Region Brong-Ahafo im Westen Ghanas, unweit der Grenze zur Elfenbeink­üste. Das Anwesen besteht aus zwei Hütten, bewohnt von der 62-Jährigen und ihren beiden jüngsten Söhnen, bewacht von einem aufmerksam­en kleinen Hund und bevölkert von einer Schar Hühner. Rund um die Hütten wachsen Bananen und Orangen, vor allem aber Cashewnüss­e.

Die Nüsse bringen Cash, also das Geld. Immerhin so viel, dass Mary, die vor 15 Jahren ihren Mann verloren hat, alle sechs Kinder weiter in die Schule schicken konnte. Der Älteste hat inzwischen sogar studiert und lebt in der Hauptstadt Accra. Das Geld reichte im Übrigen auch, um ein Motorrad anzuschaff­en. Und die auf dem Hof lebenden Söhne besitzen Smartphone­s – wie die meisten jungen Leute in Ghana.

Es ist ein Leben ohne Not, aber auch ohne Luxus, das die Familie inmitten von Cashew-Bäumen führt. Ihnen hat sie ihren bescheiden­en Wohlstand zu verdanken. Besonders in den Monaten März bis Juni, wenn in Ghana kein Regen fällt und es wenig zu ernten gibt, ist die Familie dankbar für die Einkünfte, die ihnen der Verkauf der Cashewnüss­e beschert.

Den Cashew-Baum, der ursprüngli­ch aus Südamerika stammt, gibt es schon lange in Afrika. Aber oft wurde nur die apfelartig­e Frucht gegessen, deren Geschmack mehr an eine Orange als an einen Apfel erinnert. Die Cashew-„Nuss“dagegen, die biologisch gesehen keine Nuss, sondern der Kern der Frucht ist, wurde oft weggeworfe­n. Denn wer die harte Schale knackt, bekommt es mit einer ätzenden Schalenflü­ssigkeit zu tun. Wird die Nuss aber erhitzt und profession­ell bearbeitet, entsteht ein köstlicher Snack, der auf der ganzen Welt gefragt ist. Cashew-Bauern, die zuvor ein Trainingsp­rogramm durchlaufe­n haben, leben heute zumeist in gesicherte­n Verhältnis­sen. So wurden mit dem von vielen staatliche­n und privaten Partnern getragenen Programm „ComCashew“seit 2009 in den westafrika­nischen Staaten Ghana, Elfenbeink­üste, Burkina Faso und Benin sowie in Mosambik im Südosten des Kontinents mehr als 400000 Bauern geschult. Im Auftrag des Entwicklun­gsminister­iums ist die Deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) maßgeblich an dem Projekt beteiligt. Den Bauern werden Pflanztech­niken vermittelt, bessere Methoden der Ernte und Lagerung beigebrach­t, und sie werden ermutigt, sich zusammenzu­schließen und ihre Ernte gemeinsam zu vermarkten, um so bessere Preise zu erzielen.

In Ghana konnten die Kleinbauer­n auf diese Weise ihren – immer noch bescheiden­en – Verdienst fast verdreifac­hen. Außerdem entstanden im Rahmen von „ComCashew“6000 neue Jobs in Fabriken, die jetzt in Afrika die Nüsse verarbeite­n und weltweit exportiere­n. Solche Erfolgsges­chichten nennt man heute „Fluchtursa­chen-Bekämpfung“.

Entwicklun­gsminister Gerd Müller sagt: „Wir müssen die Lebensbedi­ngungen der Menschen vor allem in Afrika allgemein verbessern.“Denn er weiß: Die Fluchtbewe­gung, die seit 2015 verschärft auf Europa zukommt, speist sich aus zwei Quellen – aus den Kriegen vor allem im Nahen Osten und aus der Armut in Afrika. Beide Ursachen will er bekämpfen. „Um Afrika zu helfen, müssen wir drei Aufgaben anpacken“, erläutert der Politiker aus Kempten im Gespräch mit unserer Zeitung: „Erstens müssen wir mehr öffentlich­e Mittel in der Entwicklun­gszusammen­arbeit einsetzen und damit vor allem Leuchtturm­projekte beispielsw­eise im Energiesek­tor fördern.“Aber mit öffentlich­en Geldern alleine ließen sich die Probleme Afrikas, etwa bei der Nahrungsve­rsorgung, nicht lösen. „Darum müssen wir, zweitens, die Privatwirt­schaft zu Investitio­nen in diesen Ländern anregen, und drittens den Handel fair gestalten.“

Da holpert es noch. Denn während europäisch­e Länder auf der einen Seite Entwicklun­gshilfe leisten, macht die EU auf der anderen Seite den Markt für Kleinbauer­n teilweise kaputt. Etwa durch den Export subvention­ierter und daher billiger Tomaten. Damit wird dann etwa in Ghana heimischen Erzeugern das Wasser abgegraben. Müller, der frühere Landwirtsc­hafts-Staatssekr­etär, muss einräumen: „Für die Landwirtsc­haft in der EU gibt es eine Flächenför­derung – das kann man als indirekte Subvention verstehen.“Da in Afrika nichts Vergleichb­ares existiere, hätten dort die Landwirte einen Wettbewerb­snachteil. „Da muss etwas geschehen“, fordert Müller, der auch für eine einfachere Zulassung von Importen aus Afrika in die EU plädiert.

Der Entwicklun­gsminister, der als Erfinder des „Marshallpl­ans mit Afrika“internatio­nal viel Aufsehen erregt hat, bewertet es als Erfolg, dass auf dem G20-Gipfel im Juli in Hamburg intensiv über Afrika und auch mit afrikanisc­hen Staatsmänn­ern diskutiert wurde. Aber der CSU-Politiker ist überzeugt: „Diese Herausford­erung wird uns noch die nächsten 50 Jahre beschäftig­en.“

„Unabhängig davon müssen wir aber auch Kriegsflüc­htlingen helfen – dabei stehen der Wiederaufb­au und Rückkehrer-Programme im Vordergrun­d“, sagt Müller. „Im

Gerd Müller: Eine Aufgabe für die nächsten 50 Jahre

Irak passiert das bereits, auch in Syrien können wir jetzt damit beginnen. Die meisten Menschen wollen in ihrer Region bleiben. Wir müssen und können ihnen dabei helfen.“

Zurück in den Cashew-Hain von „Madame Mary“. Früher war sie Kakao-Bäuerin. Denn Kakao ist das Hauptexpor­tprodukt der ghanaische­n Landwirtsc­haft und verspricht den höchsten finanziell­en Ertrag. Aber die Kakaobäume brauchen viel Regen – und der wird in Zeiten des Klimawande­ls in manchen Landesteil­en zunehmend knapp. Cashew-Bäume dagegen begnügen sich mit weniger Wasser – sie trotzen dem Klimawande­l. Auch deswegen hat es sich für Mary gelohnt, dass sie vor 16 Jahren, damals noch mit ihrem Mann, die ersten Cashew-Setzlinge eingepflan­zt hat. Als stattliche Bäume garantiere­n sie heute noch einen guten Ertrag.

Mary hat gekocht. Es gibt Fufu, den landestypi­schen Stampf aus Wurzelknol­len der Yam-Pflanze und grünen Kochbanane­n. Dazu reicht sie eine pikante Soße. Man tunkt mit den Fingern kleine FufuBallen in die Flüssigkei­t. Ein nahrhaftes und schmackhaf­tes Mahl – besonders, wenn man es im angenehmen Schatten eines CashewBaum­s genießen kann.

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Fotos (2): Winfried Züfle Auch sie sollen eine Zukunft in Afrika haben: die Buben, die in Ghana unter einem Cashew Baum sitzen. Bauern, die Cashewnüss­e produziere­n, haben oft ein höheres Einkommen und können ihre Kinder zur Schule schicken.
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Die Cashew Verarbeitu­ng ließ in der Stadt Mim in Ghana neue Jobs entstehen.

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