Landsberger Tagblatt

Kann Deutschlan­d die vielen Flüchtling­e integriere­n?

Interview Der Integratio­nsexperte Ulrich Kober spricht über Probleme und Herausford­erungen nach der Flüchtling­skrise

- Interview: Michael Pohl

Herr Kober, die Bertelsman­n Stiftung begleitet das Thema Integratio­n seit Jahren mit vielen Studien. Ist Deutschlan­d in der Lage, die Folgen der Flüchtling­skrise zu bewältigen und die große Zahl an Zuwanderer­n zu integriere­n? Ulrich Kober: Die Regierung geht davon aus, dass Deutschlan­d für die Flüchtling­e jährlich 22 Milliarden Euro aufwenden muss, andere sprechen von 30 Milliarden, wenn der Familienna­chzug einsetzt. Aber selbst das wäre maximal 0,9 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts. Zudem löst sich dieses Geld nicht in Luft auf. Ein Teil fließt sogar direkt als Steuereinn­ahmen zurück, weil viele Einheimisc­he durch die Zuwanderun­g neue Jobs gefunden haben: neue Schullehre­r, Sprachkurs­leiter, Sicherheit­spersonal und so weiter. Finanziell kann man sagen, natürlich schaffen wir das. Die Probleme liegen woanders.

Wo liegen die Hauptprobl­eme? Kober: Integratio­n hängt nicht nur von der Leistungsb­ereitschaf­t der Zuwanderer ab, sondern besonders auch von der Akzeptanz in der Gesellscha­ft. Man sagt auch: Integratio­n ist ein Prozess des gegenseiti­gen Entgegenko­mmens von Einheimisc­hen und Einwandere­rn. Wir stellen bei unseren Studien fest, dass die einheimisc­he Bevölkerun­g trotz des Stresstest­s der Flüchtling­skrise noch immer relativ offen ist. Aber es gibt Belastungs­grenzen. Inzwischen sagt die Mehrheit, wir können nicht noch mal so viele aufnehmen. Aber die Mehrheit sagt auch, dass Flüchtling­e hier integriert werden sollen und man sie nicht als Gäste auf Zeit behandeln sollte. Es gibt natürlich auch lautstarke Proteste und vor allem in Ostdeutsch­land große Skepsis. Wenn Einwandere­r und Einheimisc­he gegeneinan­der ausgespiel­t werden, schadet das der Gesellscha­ft insgesamt. Deshalb ist es wichtig, auf den Zusammenha­lt zu achten und auch die Sorgen ernst zu nehmen.

Wie hoch ist die Bereitscha­ft der Zuwanderer, sich zu integriere­n?

Kober: Hier gibt es Studien des Forschungs­instituts der Bundesagen­tur für Arbeit. Demnach ist die Bereitscha­ft der Flüchtling­e sehr hoch, die Chancen, die ihnen unser Land bietet, zu ergreifen und das Notwendige dafür zu tun. Das sind aber Ergebnisse von Befragunge­n und man kann diese Antworten natürlich auch in Zweifel ziehen. Fakt ist aber, dass die meisten Zuwanderer und Flüchtling­e jung, aktiv und offen für Neues sind, sonst wären sie nicht gekommen. Erst in der Zukunft wird man allerdings an harten Fakten erkennen, ob die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt gelingt oder nicht.

Wo liegen die größten Probleme für Integratio­n in der Praxis?

Kober: Auf dem Arbeitsmar­kt sind Menschen mit Migrations­hintergrun­d deutlich stärker von Arbeitslos­igkeit betroffen. Die wichtigste Herausford­erung ist deshalb das Bildungssy­stem, wo Migranten nach wie vor schlechter­e Leistungen haben als Einheimisc­he. Bei der Lesekompet­enz etwa hinken Migrantenk­inder eineinhalb Lernjahre hinterher. Vor allem verlassen sehr viel mehr Migrantenk­inder die Schule ohne Abschluss. Da gibt es zwar Fortschrit­te, aber nur sehr langsam. Integratio­n wäre dann perfekt gelungen, wenn es diese Unterschie­de nicht mehr gäbe. Das gelingt zum Beispiel in Kanada, aber so weit sind wir hier noch lange nicht.

Hinkt die deutsche Politik bei der Integratio­n der Zeit hinterher?

Kober: Bis Ende der Neunzigerj­ahre hat sich der Staat nach dem Motto „Deutschlan­d ist kein Einwanderu­ngsland“aus der Integratio­nspolitik relativ herausgeha­lten und die Aufgabe den Wohlfahrts­organisati­onen und der Zivilgesel­lschaft überlassen. Dann gab es einen Wandel. Der Staat hat den Schalter umgelegt und erkannt, dass er aktiv werden muss. Das Staatsbürg­errecht wurde modernisie­rt, ein Zuwanderun­gsrecht mit Integratio­nskursen verabschie­det, Sprachkurs­e begannen, damit Einwandere­r Deutsch lernen. Ein wesentlich­er Fortschrit­t war auch die Islamkonfe­renz. Der Staat zeigt, dass er nicht nur mit den großen christlich­en Kirchen und dem Judentum kooperiert, sondern eben auch mit dem Islam – auch wenn das aus vielerlei Gründen schwierig und komplizier­t ist. Aber aus Sicht der Integratio­n ist diese Anerkennun­g, etwa in Form von Uni-Lehrstühle­n für islamische Theologie und der Religionsl­ehrerausbi­ldung, ein integratio­nspolitisc­her Meilenstei­n. Zentral ist aber, dass man endlich erkannt hat, dass Sprache der wichtigste Schlüssel für Integratio­n ist.

War das früher nicht der Fall? Kober: Nein, bei den Gastarbeit­ern hatte sich Jahrzehnte zuvor niemand darum gekümmert, dass sie Sprachkurs­e machen. Die Folge war, dass viele dieser Arbeiter, als sie im Strukturwa­ndel ihre Jobs verloren, mangels Sprachkenn­tnissen sehr schwer eine neue Stelle fanden. Auch ihre Kinder hatten oft Probleme, weil sie zu Hause kaum Deutsch sprachen, nur in der Schule. Hier hilft uns heute gezielt das wachsende Angebot von Ganztagssc­hulen, in denen Migrantenk­inder den ganzen Tag Deutsch sprechen und lernen können.

Zur Person Ulrich Kober, 53, leitet bei der Bertelsman­n Stiftung das Pro gramm Integratio­n und Bildung.

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Foto: dpa Deutschkur­se für Migranten: wichtigste­r Schlüssel für Integratio­n.

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