Landsberger Tagblatt

Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe (32)

Zwei Männer wollen Irene sowie ein Gemälde, das Irene nackt zeigt: der Unternehme­r Gundlach und der Maler Schwind. Ein Anwalt soll vermitteln; er lernt ebenfalls, Irene zu lieben… Aus: Bernhard Schlink Die Frau auf der Treppe © 2014 by Diogenes Verlag A

-

Du erzähltest mir von Karls Wut, als das Bild weg war, vom Streit zwischen Karl und Peter, davon, dass sie dich nicht beachteten und erst nach dir riefen, als du schon im Garten warst. Du erzähltest es als komische Geschichte, und zugleich klangst du unglücklic­h – über die beiden, über dich, vielleicht auch über mich, weil du von Männern einfach genug hattest. So fing unser Alltag in Frankfurt an. Wir…“„Wo habe ich geschlafen?“„In meinem Bett.“

„Und du?“

„Auf der Couch.“

Sie nickte. „Du gingst morgens in die Kanzlei, und ich ging ins Museum? Und am Abend haben wir zusammen gekocht? Und am Sonntag?…“

„Nicht so schnell. Am Dienstag wurde in deine Wohnung eingebroch­en. Der Hausmeiste­r rief dich im Museum an, und weil nichts fehlte, nahm man an, die Einbrecher seien überrascht worden. Du wusstest, dass sie das Bild gesucht und nicht

gefunden und sonst nichts gewollt hatten. ,Vielleicht brechen sie morgen bei dir ein‘, sagtest du beim Abendessen. ,Wenn sie inzwischen herausgefu­nden haben, dass ich bei dir wohne. Möchtest du, dass ich das Bild zurückgebe?‘“

„Nein, das habe ich nicht gefragt.“

„Es war keine echte Frage. Du hast die linke Braue hochgezoge­n, so, wie du sie jetzt hochziehst. Wir haben überlegt, ob wir den Einbruch verhindern können. Aber wenn sie nicht morgen kämen, kämen sie übermorgen oder nächste Woche. Am besten war, das zusätzlich­e moderne Schloss nicht abzuschlie­ßen, damit sie die Tür mit dem Dietrich öffnen könnten.

So machten wir es, nicht nur am Mittwoch, sondern auch am Donnerstag und Freitag, und weil die Tür nicht aufgebroch­en werden musste, haben wir nicht erfahren, ob sie die Wohnung tatsächlic­h durchsucht haben. Es fehlte nichts. Und ja, du gingst ins Museum, warst dort morgens besonders früh und abends besonders spät, damit Karl oder Peter dich nicht abpassen konnten, und ich ging in die Kanzlei, und abends haben wir zusammen gekocht. Am Sonntag haben wir auf dem Balkon gefrühstüc­kt. Es war ein goldener Herbsttag, wir hatten die Woche ohne Schaden überstande­n und dachten, es werde alles gut. Du wolltest bald ausziehen. Aber inzwischen wusste ich, dass du Opern liebst, und hatte dich zu La Bohème eingeladen, und du hattest zugesagt.“

„Ich habe nicht genörgelt? Ich war die liebe kleine Frau in deiner harmonisch­en kleinen Welt?“„Ich kann auch aufhören.“

Sie lachte. „Nein, aber wir können unser Leben doch nicht wie ein altes Paar auf dem Balkon verbringen!“

Ich hätte es gekonnt, aber sie nicht. „Am Montag riefen mich Karchinger und Kunze zu sich. Es tue ihnen leid, aber wir müssten uns trennen. Das Gerücht, ich hätte Parteiverr­at begangen, sei nur ein Gerücht, und sie wollten gerne glauben, dass sich, wenn aus dem Gerücht eine Anklage und ein Verfahren würden, meine Unschuld erweise. Aber das alles könne sich hinziehen, und währenddes­sen sei ich eine Belastung für die Kanzlei, ich müsse das verstehen. Schon jetzt sehe ein wichtiger Mandant seine Vertretung durch die Kanzlei gefährdet, wenn ich in der Kanzlei bliebe. ,Gundlach?‘ Sie zögerten und sagten mir dann, sie könnten keinen Namen nennen, auch das müsse ich verstehen.“

„Was ist Parteiverr­at?“„Wenn man in einer Rechtssach­e für beide Parteien arbeitet. Gundlach hatte ein paar Fäden gezogen. Aber nicht nur bei mir. Auch dein Volontaria­t im Museum war zu Ende. Der Direktor redete von Mittelund Raumproble­men und davon, dass er nur noch die Volontäre und Volontärin­nen behalten wolle, die er im Anschluss beschäftig­en könne, und zu denen gehörtest du, anders, als er zunächst angenommen und dir mitgeteilt hätte, zu seinem großen Bedauern nicht.“

„Also saßen wir am Montagaben­d auf dem Balkon und…“

„Nein, wir saßen nicht auf dem Balkon, sondern gingen ins ,Sole d’Oro‘ oder wie das beste Restaurant damals hieß und feierten, dass uns nichts mehr in Frankfurt hielt und wir unsere Möbel dem Trödler geben, unsere Koffer packen und in die Welt ziehen konnten. Wir waren frei.“

„Das gefällt mir.“

„So haben wir es denn auch gemacht. Wir haben unsere Möbel dem Trödler gegeben und unsere Koffer gepackt. Das Bild…“„…? stand bei meiner Mutter.“„Das Bild stand bei deiner Mutter, und während ich mich noch fragte, ob wir nach New York oder Buenos Aires reisen und mit dem Schiff fahren oder fliegen sollten, hattest du schon die Tickets für den Flug nach New York gekauft.“

Irene hatte die ganze Zeit ruhig gelegen, die Hände unter der Decke, den Kopf auf den beiden Kissen und die Augen auf mich gerichtet. Jetzt richtete sie sich auf, setzte die Füße auf den Boden und versuchte aufzustehe­n.

„Warte, ich helfe dir.“„Wie lange sitzen wir schon hier? Ich muss…“Sie redete nicht weiter, sondern sah mich fragend an.

„Du musst gar nichts. Habe ich zu lange geredet? Ich höre auf und mache das Abendessen. Wir haben das Mittagesse­n vergessen.“

„Ich muss… Wenn ich nur nicht so müde wäre.“Wieder sah sie mich fragend an, und wieder verstand ich die Frage nicht und wusste auch nicht, ob ich ihr aufhelfen oder zureden sollte liegen zu bleiben. Aber dann fielen ihr die Augen zu, sie rutschte von der Bettkante, und ich fing sie auf und legte sie wieder aufs Bett. Es war spät, noch hell, aber die Sonne war schon hinter den Bergen verschwund­en, und bald würde es Nacht werden. Ich fand unter dem Balkon einen Wasseransc­hluss und eine Gießkanne und goss Irenes welken Garten; vielleicht würde er sich bis morgen erholen und einen Salat abgeben. Heute hatten wir an den Resten von gestern genug. Irene war ohnehin nicht hungrig. Verschlafe­n und wortlos aß sie ein paar Bissen und ließ sich dann von mir aufs Klo bringen und ins Bett hochtragen.

„Wir müssen morgen zu Meredene.“

„Wegen der Einkäufe? Ich kann fahren.“

„Die Windeln?…“Während des Tages hatte sie die Kontrolle über ihre körperlich­en Funktionen behalten, aber sie hatte Angst vor der Nacht. Ich wusste inzwischen, wo die Bettwäsche und die Handtücher waren, rief mir in Erinnerung, wie meine Frau unsere Babys gewickelt hatte, und wählte ein vom Lauf der Zeit dünn gewordenes Frottiertu­ch, riss einen Streifen ab und machte so das Tuch zum Quadrat, faltete das Quadrat zum Dreieck, legte es ihr unter und band es ihr um.

„Gelernt ist gelernt.“Sie versuchte zu scherzen. Ich zuckte mit den Schultern. Sie musste nicht wissen, dass ich mich um meine Kinder nicht so gekümmert hatte, wie das von modernen Vätern erwartet wird.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany