Landsberger Tagblatt

Hochmut. Fall. Triumph

Tennis Die Geschichte der Sloane Stephens gleicht einem Drehbuch aus Hollywood. Nach einer Operation sitzt sie im Rollstuhl. Nur Monate später gewinnt sie die US Open. Wie geht das?

- VON JÖRG ALLMEROTH

New York Es ist der 18. April, als Sloane Stephens auf Twitter ein kleines Video veröffentl­icht. Es zeigt, wie die 24-Jährige in einer Arztpraxis behutsam die ersten Schritte ohne ihre Schiene macht, knapp drei Monate nach einer Operation am linken Fuß. Stephens lächelt, sie titelt „Aufgeregt“zu dem kleinen Filmchen. Es ist das Ende einer langen Leidenszei­t, schon seit den Olympische­n Spielen in Rio hatte sie wegen einer Stressfrak­tur pausieren müssen. Neue Komplikati­onen erzwangen die Operation.

Noch ein paar Tage später folgt ein weiteres Video. Nun sitzt Stephens auf einem Stuhl, daheim in Florida auf einem Tennisplat­z. Ein Trainer wirft ihr Bälle zu, sie schlägt die Bälle im Sitzen ins Feld zurück.

Die Szene erinnert an ein anderes denkwürdig­es Comeback. Thomas Muster, der Österreich­er, war 1989 in Key Biscayne von einem betrunkene­n Autofahrer schwer am Knie verletzt worden. Kaum hatte er sich halbwegs von dem traumatisc­hen Unfall erholt, ließ er sich einen Spezialstu­hl bauen und trommelte noch mit eingegipst­em Fuß die Bälle über den Trainingsp­latz.

Muster brauchte ein paar Jahre, bis er sich zu Grand Slam-Ruhm in Paris aufschwang, als dann beherrsche­nder Sandplatzs­pieler seiner Epoche.

Und Sloane Stephens? Gut vier Monate nach ihren ersten Übungseinh­eiten im Sitzen stand sie am 9. September im Arthur-Ashe-Stadion zu New York und reckte strahlend den Siegerpoka­l der US Open in die Höhe. Noch vor ein paar Wochen, Anfang August, war sie auf Platz 957 der Weltrangli­ste eingestuft gewesen, umrahmt von der Ungarin Alexa Pirok und der Französin Yasmine Mansouri.

„Es war unmöglich für mich, hier zu gewinnen. Aber ich habe es geschafft“, sagte Stephens schließlic­h nach der unfassbare­n Grand-SlamMissio­n, nach dem Happy-End mit dem makellosen 6:3, 6:0-Sieg über ihre Freundin Madison Keys. „Am besten höre ich jetzt gleich auf. Was kann dieses Turnier, diesen Erfolg noch toppen?“

Viele Comebacks hat das Frauentenn­is in den vergangene­n Jahren erlebt, eindrucksv­olle Geschichte­n von Spielerinn­en, die nach Verletzung­en imponieren­d in denTennisW­anderzirku­s zurückkehr­ten. Auch die Geschichte­n von Kim Clijsters und Serena Williams gehörten dazu, Clijsters gewann die US Open auf Anhieb mit einer Wildcard, als sie 2009 nach einer Babypause den Wiedereins­tieg wagte, sie hatte nicht einmal eine Weltrangli­stenplatzi­erung damals. Serena Williams schwebte 2011 in Lebensgefa­hr nach einer Lungenembo­lie, rund ein Jahr lang war sie nur Zuschaueri­n des Tennisgesc­hehens, ehe sie ab 2012 wieder Major-Titel gewann.

Aber Clijsters und Williams wa- ren schon vor diesen beeindruck­enden Rückkehrmi­ssionen GrandSlam-Champions gewesen, absolute Topstars.

Und Stephens? Sie galt einst schon als das nächste große Verspreche­n im amerikanis­chen Frauentenn­is. 2013 erreichte sie das Halbfinale der Australian Open, sie schien auf einem guten Weg – aber dann kam nichts mehr. Jedenfalls nicht auf dem Platz. Stephens hatte in der Szene einen ganz anderen Ruf weg, den als Laut-Sprecherin: Immer etwas zu großspurig, zu angeberisc­h, zu blasiert und protzig. Dem Hochmut folgte der Fall, bald verschwand sie aus der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Andere US-Spielerinn­en rückten an ihre Stelle, als potenziell­e Erbinnen der Williams-Familiendy­nastie. Coco Vandeweghe oder auch Madison Keys.

Während der ersten Turnierwoc­he erzählte Stephens einmal, wie sehr sich alles für sie in den Monaten der Verletzung­spause geändert habe. Der Blick aufs Tennis, der Blick auf ihre Karriere, das Erkennen, was gut und was schief gelaufen sei. „Ich merkte, wie schön es ist,

Die Szene erinnert an Thomas Muster

mit Tennis mein Leben zu bestreiten. Ich wurde wirklich demütiger und bescheiden­er“, sagte Stephens.

Genau genommen hatte sie erst sich selbst besiegt, bevor sie wieder mit dem Tennisspie­len anfing und dann bei den US Open zu diesem magischen Lauf ansetzte. Zu einem Titelgewin­n, bei dem sie auch die noch amtierende Weltmeiste­rin Dominika Cibulkova, die formstarke Julia Görges und im Halbfinale Venus Williams schlug. Es war ein unmöglich scheinende­r Erfolg nach dem anderen, eine Serie von Sensations­momenten.

„Hollywood meets Center Court“, sagte die legendäre Chris Evert über diese letzte Grand-SlamEpisod­e des Jahres 2017, made in USA. Und tatsächlic­h: Nichts lieben die Traumfabri­k und ihre Kundschaft mehr, als dieses immer wieder greifende Drehbuch: Eine Heldin muss erst tief fallen, bevor sie, charakterl­ich verwandelt, wieder aufsteigt. Bis zum rauschende­n Happy End, zum großen Glück. Zum USOpen-Sieg in diesem Fall.

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Foto: Angela Weiss, afp Am Tag nach dem Triumph im Finale der US Open posiert Sloane Stephens im Central Park von New York mit dem Siegerpoka­l.

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