Landsberger Tagblatt

Kurdenfest empört die Türkei

Deutscher Botschafte­r in Ankara einbestell­t

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Istanbul/Köln Neue Spannungen im ohnehin schon extrem gereizten deutsch-türkischen Verhältnis: Aus Protest gegen ein kurdisches Kulturfest­ival in Köln hat Ankara am Samstag den deutschen Botschafte­r ins Außenminis­terium zitiert. Bei der Veranstalt­ung sei „Terrorprop­aganda“betrieben worden, kritisiert­e das Ministeriu­m. An dem Kulturfest­ival nahmen am Samstag nach internen Zahlen der Polizei rund 14000 Menschen teil. Gefordert wurde unter anderem die Freilassun­g des zu lebenslang­er Haft verurteilt­en Anführers der Kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, Abdullah Öcalan.

Organisato­r des Festes war der Verein NAV-DEM (Demokratis­ches Gesellscha­ftszentrum der Kurdinnen in Deutschlan­d), der laut Bundesamt für Verfassung­sschutz der PKK nahesteht. Die halbe Rückwand der Bühne war von einem Öcalan-Foto bedeckt, zahlreiche Demonstran­ten trugen Fahnen mit seinem Konterfei. Die PKK ist in Deutschlan­d seit 1993 als Terrororga­nisation verboten. Seit kurzem ist zudem das öffentlich­e Zeigen von Öcalan-Porträts untersagt.

Die Bundesregi­erung reagierte nicht auf die Vorwürfe aus Ankara. Kanzlerin Angela Merkel nannte es in einem Interview jedoch empörend, dass elf deutsche Staatsbürg­er aus politische­n Gründen in der Türkei inhaftiert seien. „Wir werden unsere wirtschaft­liche Zusammenar­beit mit der Türkei weiter zurückfahr­en müssen und Projekte auf den Prüfstand stellen“, sagte die CDU-Chefin. Deutschlan­d ist mit China wichtigste­r Wirtschaft­spartner der Türkei. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz schloss eine Aufkündigu­ng des Flüchtling­sabkommens zwischen der Türkei und der EU nicht aus.

In ihrer verzweifel­ten Suche nach einem zündenden WahlkampfS­logan hat die SPD auf den letzten Metern ein Thema entdeckt, das die Deutschen erfahrungs­gemäß in besonderem Maße umtreibt. Es ist die Angst, nach Jahrzehnte­n des Friedens unmittelba­r in einen kriegerisc­hen Konflikt verwickelt zu werden. Kanzlerkan­didat Martin Schulz und Außenminis­ter Sigmar Gabriel zeichnen in Reden das Bild einer Kanzlerin, die sich „dem Aufrüstung­sdiktat Trumps“(Schulz) beuge und den „irren Beschluss“(Gabriel) der Nato vollziehe, die Verteidigu­ngsausgabe­n Deutschlan­ds bis zum Jahre 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s zu erhöhen.

Deutschlan­d jedoch müsse, wie Gabriel im Bundestag erklärte, „die Stimme der Abrüstung“sein, statt sich am Beginn eines „unheilvoll­en Wettrüsten­s“(SPD-Fraktionsc­hef Oppermann) zu beteiligen und an der Aufrüstung­sspirale zu drehen. Die 30 Milliarden Euro, die zusätzlich für die Bundeswehr aufgebrach­t werden sollen, würden dringend für andere und sinnvoller­e Aufgaben benötigt. Stattdesse­n wolle die Kanzlerin die Bundeswehr zur mit Abstand größten, die Nachbarn beunruhige­nden Armee Europas machen.

Die Attacken auf Angela Merkel sind gewürzt mit einer Prise Antiamerik­anismus und ein bisschen Trump-Bashing – beides kommt, wie die Wahlkampfs­trategen der SPD vermuten, gut an. Der irrlichter­nde US-Präsident, der seinen Nato-Kollegen im Mai eine ruppige Standpauke gehalten und indirekt damit gedroht hat, ihnen den Schutz der USA zu entziehen, bietet ja tatsächlic­h eine prächtige Angriffsfl­äche. Die Stilisieru­ng Merkels zur willfährig­en Helferin Trumps ist allerdings rein taktischem Kalkül geschuldet. Wobei in schöner Regelmäßig­keit das Wort „Unterwerfu­ng“fällt – eine Vokabel, die besonders eindringli­ch wirkt und interessan­terweise nie im Zusammenha­ng mit dem Verhältnis zum russischen Präsidente­n Putin benutzt wird.

Was ist dran an den schweren Vorwürfen, Merkel exekutiere willenlos die Forderung Trumps, den deutschen Verteidigu­ngsetat von derzeit knapp 38 Milliarden (das entspricht 1,2 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s) auf rund 70 Milliarden aufzustock­en? Zu den Fakten:

Erstens: Der umstritten­e NatoBeschl­uss vom Mai 2014, der unter dem Eindruck der Ukraine-Krise insbesonde­re auf Drängen des Trump-Vorgängers und Friedensno­belpreistr­ägers Barack Obama zustande kam, erfolgte mit der Zustimmung der schwarz-roten Bundesregi­erung und mit dem Segen der SPD und ihres damaligen Außenminis­ters Steinmeier. Die SPD war in alle Beschlüsse eingebunde­n und hat auch das „Weißbuch“der Bundeswehr, in dem das ZweiProzen­t-Ziel bekräftigt wird, unterschri­eben.

Zweitens: Im Nato-Beschluss heißt es, die Staaten sollten sich dem Zwei-Prozent-Ziel bis 2024 „annähern“. Im Moment erfüllen nur fünf der 28 Nato-Staaten das einvernehm­lich angepeilte Soll. Angela Merkel spricht von einer „maßvollen Erhöhung“des deutschen Etats. 2017 war es ein Plus von acht Prozent. In der mittelfris­tigen Finanzplan­ung der Bundesregi­erung steigt der Verteidigu­ngshaushal­t nur geringfügi­g an. Im Lichte dieser Zahlen findet es CDU/CSU-Fraktionsc­hef Kauder geradezu „schäbig, von Aufrüstung zu reden“.

Drittens: Auch die SPD erkennt den erhöhten Bedarf an. Schulz spricht von drei bis fünf Milliarden Euro, die zusätzlich für eine bessere Ausrüstung und mehr Personal nötig seien. Wer die Soldaten in Auslandsei­nsätze schickt, muss sie auch mit dem nötigen Gerät ausstatten.

Viertens: Schulz sagt, dass sich Deutschlan­ds Nachbarn vor dem Aufstieg Deutschlan­ds zur „größten Militärmac­ht“Europas fürchteten. Allerdings dringen gerade Frankreich und Polen auf einen deutlich höheren militärisc­hen Beitrag Deutschlan­ds in der Allianz des Westens.

Fünftens: Bisher bestand weitgehend Einigkeit darin, dass die Bundesrepu­blik internatio­nal „mehr Verantwort­ung“übernehmen und im Notfall auch in der Lage sein soll, militärisc­h zu intervenie­ren. Als „Ultima Ratio“, wie es der frühere Bundespräs­ident Gauck ohne Widerspruc­h seitens der SPD wiederholt formuliert­e. Gerade weil Trump kein verlässlic­her Sicherheit­spartner sein könnte, muss Europa alles daransetze­n, seine Verteidigu­ngsfähigke­it aus eigener Kraft zu sichern. Auch hierin war man sich zwischen CDU/CSU und SPD bis zum Wahlkampf einig.

Sechstens: Die geplante Aufstockun­g des Verteidigu­ngshaushal­ts geht eins zu eins mit einer Erhöhung des Entwicklun­gshilfe-Etats einher, womit die Regierung einem „umfassende­n Sicherheit­sbegriff“(Minister Gerd Müller) Rechnung trägt. Ziel ist es, 0,7 Prozent des BIP insbesonde­re auch in die Hilfe für Afrika zu stecken.

Soweit die Fakten. Jenseits der diskutable­n Frage, ob Deutschlan­d tatsächlic­h zwei Prozent des BIP (nach heutigem Stand: 70 Milliarden) in die Verteidigu­ng stecken soll, wirkt das SPD-Szenario einer geradezu aufrüstung­sbesessene­n, Trump blind folgenden Kanzlerin doch ziemlich weit hergeholt.

Und natürlich wäre es schön, wenn die großen Mächte wieder mehr über Rüstungsko­ntrolle und Abrüstung reden würden und Deutschlan­d dazu einen Beitrag leisten könnte. Anderersei­ts sieht es nicht so aus, als ob die Nato ihre Verteidigu­ngsanstren­gungen demnächst reduzieren könnte. Die Welt ist seit jenem Nato-Gipfel im Mai 2014 eher noch unsicherer geworden; nach dem mutmaßlich­en Verstoß Russlands gegen den INFAbrüstu­ngsvertrag von 1987 droht sogar ein neues nukleares Wettrüsten. Vielleicht hat es mit dieser gefährlich­en Lage zu tun, dass die SPD mit diesem Thema in den Umfragen noch nicht punkten konnte.

Die SPD unterschri­eb das Zwei Prozent Ziel mit

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Foto: Kugler, dpa Archiv Kanzlerin Merkel beim Besuch in Afghanista­n stationier­ter Soldaten: Attacken auf die CDU Chefin gewürzt mit einer Prise Antiamerik­anismus.
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Foto: dpa Kurdendemo in Köln verschärft Spannungen mit der Türkei. die

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