Landsberger Tagblatt

Die Gladiatore­n der Moderne

Open Air Die Band Selig kommt zum Festival Magic Lake an den Ammersee. Es soll sogar schönes Wetter werden

- VON MICHAEL FUCHS GAMBÖCK

Dießen Nichts geht bei Selig ohne das Akzeptiere­n bedeutungs­schwangere­r Begriffe wie „Unsterblic­h“, „Alles ist nix“oder „Lebenselix­ier“– aktuelle Songtitel – wenn man in den ureigenen Mikrokosmo­s dieser Band eintauchen will. Während die Alben aus der ersten Phase des Hamburger Quintetts reichlich schmucklos­e Namen wie „Selig“, „Hier“oder „Blender“trugen, geht es seit der Wiedervere­inigung eine Dekade nach der Trennung um „Und endlich unendlich“„Von Ewigkeit zu Ewigkeit“, „Magma“und aktuell gar ums „Kashmir Karma“.

Zur Erinnerung: 1992 gegründet, war Selig die deutschspr­achige Grunge-Antwort auf Nirvana oder Soundgarde­n, verknüpft mit einer kräftigen, teilweise skurril anmutenden und immer ausgelasse­nen Portion Hippie-Charme. 1998 trennte sich die Gruppe, die Mitglieder engagierte­n sich in einigen eher unmotivier­t wirkenden und weitgehend unkommerzi­ell bleibenden Projekten, ehe im August 2008 das Comeback in der Originalbe­setzung angekündig­t wurde.

Mit beachtlich­em Erfolg, denn die Formation scheint bei etlichen Fans unvergesse­n zu sein: Das Comeback-Album „Und endlich unendlich“war das erste der Hanseaten in ihrer Karriere, das es bis in die Top Ten der nationalen Charts schaffte. Auch den zwei nachfolgen­den Werken gelang dieser Sprung mühelos in der ersten Woche nach Erscheinen.

„Kashmir Karma“, das siebte Studioalbu­m, das am 3. November in den Handel kommt, sollte diese Hürde gleichfall­s lässig überspring­en. Einfach aus dem Grund, weil die bei Selig seit jeher hochgelegt­e Qualitäts-Messlatte ein weiteres Mal locker genommen worden ist. „Und das, obwohl unsere Musik beständig extremer wird, was ich nur begrüßen kann“, meint Christian Neander, Selig-Mitbegründ­er und Gitarrist. „Die harten Kompositio­nen werden härter, die Balladen trauriger. Extreme sind gut in einer immer emotionslo­ser werdenden Zeit. Nur wer sich Extremen aussetzt und diese in seine Kunst integriert, erreicht seine Hörerschaf­t umso besser. Manchmal ist dieser Weg schmerzhaf­t. Lohnen tut er sich auf alle Fälle. Wir sind die Gladiatore­n der Moderne, bereit, immer wieder in den Ring der Öffentlich­keit zu steigen, um zu beweisen, dass wir am Ende die Sieger sind. Lachende Sieger, wohlgemerk­t.“

Auch dieses Mal hat sich wieder jede Menge getan bei der unsteten Crew, weiß der 49-jährige Neander zu berichten. Unter anderem ist der Fünfer zum Vierer geschrumpf­t. „Keyboarder Malte Neumann ist bereits im Oktober 2014 ausgestieg­en“, sagt Neander. „Entgegen der offizielle­n Darstellun­g ging die Trennung nicht ganz reibungslo­s vonstatten. Mehr möchte ich dazu nicht erläutern. Höchstens das: Ich persönlich verstehe mich nach wie vor prima mit Malte. So viel zum Thema ’positiver Selig-Spirit’, der uns weiterhin umtreibt. In unserem Weltbild existieren keine Feindschaf­ten.“

Entstanden ist „Kashmir Karma“(benannt übrigens nach einem indischen Gewürz, das vor allem bei Hippie-Köchen hoch im Kurs steht) eher durch einen Zufall. „Unser Sänger Jan Plewka ist seit über 25 Jahren mit einer Schwedin verheirate­t“, erzählt der Saitenmann, „die beiden besitzen ein Ferienhaus in der schwedisch­en Pampa, ungefähr 100 Kilometer nördlich von Göteborg und ungefähr fünf Kilometer vom Meer entfernt. Eine gigantisch­e Landschaft, höchst inspiriere­nd“, schwärmt Neander.

„Jedenfalls sind wir Jungs – ohne unsere Frauen, schließlic­h ging es um Männer-Urlaub – dorthin gereist, um einfach mal zu schauen, ob in dem ’Projekt Selig’ noch Luft steckt, um uns zu sammeln. Das Unternehme­n hätte schieflauf­en können“, erzählt Christian Neander. Aber die Band kam in dem Häuschen am 8. November vergangene­n Jahres an. Die ganze Nacht wurde ferngescha­ut. „Und als irgendwann feststand, dass dieser wahnsinnig­e Donald Trump US- Präsident werden würde, waren wir zunächst absolut geschockt. Doch am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Auto raus auf die Schären. Eiskalter Wind blies uns um die Nase. Machte unseren Kopf frei. In diesem Moment beschlosse­n wir, etwas gegen unsere Resignatio­n und Frustratio­n zu unternehme­n – wir komponiert­en spontan das Lied ’Wintertag’. Und einigten uns darauf, jetzt erst recht eine Platte einzuspiel­en, die bedingungs­los Frieden, Liebe und Zusammenha­lt propagiert.“

Bis Juni dieses Jahres fuhr die „wilde Bande“, wie Neander Selig bezeichnet, noch weitere vier Mal ins schwedisch­e Exil, um dort „Kashmir Karma“voranzubri­ngen. „Letztlich war es die essenziell­e Macht der skandinavi­schen Natur“, meint der Gitarrist beeindruck­t, „die unsere neuen Lieder extrem geformt hat. Alles ist rau und archaisch. Und besitzt bei jeglicher Spontanitä­t den Hauch von Unendlichk­eit.“

Inzwischen ist das „Abenteuer Schweden“abgeschlos­sen, „Kashmir Karma“wurde – in Berlin, aber durch einen gebürtigen Schweden – vom Top-Produzent Michael Ilbert (unter anderem für Herbert Grönemeyer oder Katy Perry tätig) in den legendären „Hansa“-Studios, wo bereits U2 und David Bowie arbeiteten, produktion­stechnisch in Form gebracht.

„Jetzt geht es wieder los mit Promotion, Konzerten und sonstigem Arbeitsstr­ess“, meint Christian Neander. „Aber mal ganz ehrlich: Wir sind total heiß darauf, der Welt die neuen, ungestümen Selig zu präsentier­en.“

Am Samstag, 23. September, stehen die vier Hanseaten ab 22 Uhr als Headliner auf der Bühne des erstmalig in Dießen stattfinde­nden dreitägige­n Magic Lake Festivals. Christian Neander und seine Mitstreite­r freuen sich auf dieses Konzert: „Zum einen werden wir zwei oder drei der neuen Lieder vorstellen“, ist er sicher, „zum anderen spielen wir Stücke aus inzwischen 25 Jahren Selig-Dasein. Mit voller Wucht und ohne Rücksicht auf Verluste. Gefangene werden bei uns 2017 keine gemacht.“

Im Internet www. magic lake festival.de

 ?? Foto: Selig ?? Selig – schon lange ein Kult, ob unsterblic­h oder nicht, treten am Samstag beim Festival Magic Lake am Ammersee in Dießen auf. Es gibt noch Karten, und das Wetter soll schön sein. Initiator des Festivals ist der Regisseur und „Snowdance“Initiator Tom...
Foto: Selig Selig – schon lange ein Kult, ob unsterblic­h oder nicht, treten am Samstag beim Festival Magic Lake am Ammersee in Dießen auf. Es gibt noch Karten, und das Wetter soll schön sein. Initiator des Festivals ist der Regisseur und „Snowdance“Initiator Tom...

Newspapers in German

Newspapers from Germany