Etwas stimmt nicht
Zum Artikel „Hier gibt es Hilfe bei seeli schen Problemen“vom 16. Septem ber:
Zweifelsohne ist mit der Eröffnung der psychiatrischen Tageskliniken für Kinder und Jugendliche einerseits, für ältere Menschen andererseits – und dies noch angereichert um drei Plätze für psychisch belastete Mütter mit ihren Kindern – eine Versorgungslücke im psychosozialen Netzwerk von Stadt und Landkreis geschlossen. Dementsprechend wurde dieser organisatorisch wie finanziell riesige Kraftakt bei der Einweihungsveranstaltung im kbo-Klinikum groß gefeiert.
Nur sollte man hinter all der berechtigten Freude nicht die Not vergessen, die hinter diesen offenbar notwendig gewordenen Neueröffnungen steht. Wenn wir als Gesellschaft diese Einrichtungen heute brauchen – und die sogenannten „Bedarfe“, also hohe Nachfragen nach solchen Leistungen, wurden in den Reden zur Eröffnung ja betont –, so verweist das darauf, dass in dieser Gesellschaft „etwas nicht stimmt“. Oder wie soll man es anders verstehen, wenn beispielsweise in der Ambulanz des Kinder- und Jugendlichenbereichs jährlich 1500 (!) Patienten erwartet werden. Wieso bitte produziert unsere moderne Welt so viele seelische Probleme, so viel innere Not? Und es ist ein großer Fehler der gegenwärtigen Psychiatrie, dieses primär soziale Elend zu individualisieren und rein als „Krankheit“zu betrachten. Denn so notwendig die Behandlung persönlicher Leidenszustände sein mag, so viel wichtiger ist es doch, danach zu schauen, wo das Ganze herkommt! Das wurde bei den Ansprachen all der Mandatsträger, Vorstände, Geschäftsführer und auch Klinikchefs bei der Einweihung leider völlig vergessen. Also: Viel Glück und gutes Gelingen den offenbar hoch motivierten MitarbeiterInnen der neuen psychiatrischen Einrichtungen; aber bitte schaut doch auch mal (trotz aller Arbeitsbelastung) über den psychiatrischen Tellerrand hinaus in diese maßlos beschleunigte, gnadenlos leistungs- und konkurrenzorientierte und mehr und mehr auf Funktionalität ausgerichtete Welt, deren Folgen (!) dann eben bei Jung und Alt massenhaft in der Psychiatrie aufschlagen.
Jürgen Karres, Landsberg