Landsberger Tagblatt

Berufswuns­ch: Bundeskanz­lerin

Andrea Nahles hat sich früh für die Politik entschiede­n. Als Fraktionsc­hefin wird sie bald die mächtigste Frau der SPD sein. Ist das nur ein Zwischenst­opp?

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Andrea Nahles ist eine Frau, die weiß, was sie will. Schon als Schülerin schreibt sie in der Abiturzeit­ung unter Berufswuns­ch „Hausfrau oder Bundeskanz­lerin“. In die SPD ist sie da bereits eingetrete­n, kurz darauf gründet sie zu Hause im rheinland-pfälzische­n Weiler einen Ortsverein und macht bei den Jungsozial­isten Karriere. Landesvors­itzende, Bundesvors­itzende, Bundestags­abgeordnet­e: Das mit der Hausfrau, so sieht es aus, hat sich früh erledigt. Das mit der Kanzlerin könnte noch klappen.

Als neue Fraktionsv­orsitzende der SPD im Bundestag wird die 47-Jährige die mächtigste Frau ihrer Partei sein. Oder soll man sagen: die letzte Hoffnung? „Wir haben zu viel doziert und zu wenig zugehört“, hat Andrea Nahles nach einer ähnlichen Niederlage einmal in einem Interview mit unserer Zeitung gesagt. Nicht wortreich um den heißen Brei herumreden, sondern die Dinge temperamen­tvoll und plakativ auf den Punkt bringen: Dieses Talent hilft der früheren Generalsek­retärin nun auch als Opposition­sführerin. Gerhard Schröder, zum Beispiel, verhöhnt sie für seine Reformpoli­tik einst als „Abrissbirn­e des Sozialstaa­ts“, den späteren Parteichef Kurt Beck als „Buddha mit kurzer Lunte“.

Damals gilt die Maurerstoc­hter aus der Eifel, die seit einem Autounfall ein chronische­s Hüftleiden plagt, im Lagerschem­a der SPD noch als stramme Linke. Mittlerwei­le jedoch hat sie auch auf dem gemäßigten und dem konservati­ven Flügel ihre Fans. Das liegt vor allem an der guten Arbeit, die sie in den Augen der Partei als Sozialmini­sterin mit der Einführung des Mindestloh­ns und der Rente mit 63 gemacht hat. Das liegt aber auch an ihrem fein gesponnene­n Netzwerk und der konsequent­en Imagekorre­ktur, die die gelernte Germanisti­n betrieben hat. Die linke Flügelfrau, die Nervensäge mit der Schnodders­chnauze? Diese Zeit ist vorbei. Als Ministerin hat Andrea Nahles sich auf den Weg in die Mitte gemacht, politisch wie persönlich. Innenminis­ter Thomas de Maizière von der CDU etwa duzt sie schon länger. Tatsächlic­h kann die alleinerzi­ehende Mutter einer sechsjähri­gen Tochter eine erfrischen­d heitere, unkomplizi­erte Gesprächsp­artnerin sein, wenn die Notizblöck­e weggelegt und die Mikrofone ausgeschal­tet sind. Eine Frau mit Humor und Bodenhaftu­ng, die auf einem Bauernhof lebt, der schon ihren Urgroßelte­rn gehörte, und die wichtige Telefonkon­ferenzen schon mal auf den späten Abend verlegt, weil sie die kleine Marie vorher ins Bett bringen will.

Ein paar Tage vor der Wahl soll Andrea Nahles in Berlin die Teilnehmer eines Schülerwet­tbewerbes auszeichne­n. Auf die Bemerkung des Moderators, dass bei der gleichen Veranstalt­ung im Jahr 2005 keine Geringere als die spätere Bundeskanz­lerin Angela Merkel die Laudatio gehalten habe, kontert die SPD-Frau trocken: „Dann komme ich in vier Jahren vorsichtsh­alber noch mal wieder.“Rudi Wais

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Foto: dpa

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