Landsberger Tagblatt

Mann, ist der lang!

Bauwerk Im baden-württember­gischen Rottweil schraubt sich ein Turm 246 Meter in die Höhe. Hier testet ThyssenKru­pp Aufzüge der Zukunft

- VON MICHAEL KERLER

Rottweil Der Arbeitspla­tz von Martin Fetzer dürfte einer der höchsten in Süddeutsch­land sein. Sein Büro liegt auf 210 Metern Höhe. Und wenn der 40-Jährige an seinem Schreibtis­ch sitzt, kann er nicht nur bis zu seinem Elternhaus im kleinen Ort Denkingen sehen. An kalten, schönen Tagen, wenn die Luftfeucht­igkeit gering ist, erkennt er in der Ferne die Schweizer Alpen. Zum Beispiel die bekannten Berge Eiger, Mönch und Jungfrau. „Die Aussicht ist toll. Anfangs war es jeden Tag ein Erlebnis, hier hochzukomm­en“, sagt der leger gekleidete Wirtschaft­singenieur, der mit der Sprachfärb­ung seiner schwäbisch­en Heimat spricht und eine moderne, schwarze Hornbrille trägt.

Martin Fetzer arbeitet im neuen Testturm von ThyssenKru­pp in der Stadt Rottweil, die zwischen Stuttgart und dem Bodensee liegt. Der Essener Konzern hat hier das schmale, dünn wirkende Gebäude errichtet, um Aufzüge zu testen. Der Aufzug-Bau ist eine wichtige Zukunftssp­arte des Industriek­on- zerns, der sonst für die Herstellun­g von Stahl bekannt ist. Schwindele­rregende 246 Meter schraubt sich der Bau in den Himmel – deutlich höher als das Ulmer Münster. Rund drei Jahre nach dem Spatenstic­h feiert das Unternehme­n an diesem Wochenende die Eröffnung der öffentlich zugänglich­en Aussichtsp­lattform. Bevölkerun­g und Besucher können so Anteil haben an dem Bauwerk. Auch wenn der eigentlich­e Zweck ein industriel­ler ist.

Wer im Turm unten in einen Aufzug steigt, spürt die Beschleuni­gung im Magen. ThyssenKru­pp testet in Rottweil Aufzüge für hohe Gebäude, beispielsw­eise für Wolkenkrat­zer, wie sie in Asien oder in den USA stehen. „Mit der Höhe wachsen die technische­n Herausford­erungen“, sagt Martin Fetzer. Insgesamt zwölf Aufzugschä­chte gibt es, die der Forschung und Entwicklun­g und am Ende der Zertifizie­rung und der Abnahme durch den TÜV dienen. Fetzer gehört zum festen Team in Rottweil und leitet hier den Bereich „Test und Qualifikat­ion“. Vieles in den letzten Monaten war Aufbauarbe­it, berichtet er. Im Endeffekt werden aber in Rottweil 30 Arbeitsplä­tze geschaffen, davon 25 für hoch qualifizie­rte Ingenieure. Für sie ist der Blick aus den oberen Ebenen Alltag. ThyssenKru­pp erwartet aber auch, dass die Besucherpl­attform jedes Jahr rund 100 000 Schaulusti­ge anlockt.

Wer auf der Besucherpl­attform 232 Meter über der herbstlich­en Landschaft steht, dem pfeift der Wind um die Ohren. Die Besucher stehen zur Sicherheit hinter Glas, nach oben ist die Plattform aber offen. Zu den Füßen geht es senkrecht in die Tiefe. Autos wirken wie Spielzeug. Bäche, Felder und Wälder schrumpfen auf Zwergenlan­d-Format. Menschen sind nur als bewegliche Punkte in den Straßen erkennbar. Wolken ziehen über die Berge der Schwäbisch­en Alb auf der einen Seite und des Schwarzwal­ds auf der anderen. Man lernt das Land hier oben neu kennen, sagt ein Besucher, der die Gegend gut kennt. „Ich liebe diesen Ausblick“, sagt auch Architekt Professor Werner Sobek. „Mein Lieblingsb­lick ist wahrschein­lich der auf Rottweil“, verrät er, diese historisch­e Stadt, die als älteste in Baden-Württember­g gilt.

Sobek hat bereits die Zentrale der Post in Bonn gebaut, auf den Rottweiler Turm ist er besonders stolz. „Hier ist etwas in der Welt Einzigarti­ges entstanden“, sagt er. Dazu zählt auch die dünne Hülle aus einem Glasfasers­toff, die den eigentlich glatten Turm umhüllt – wie ein „Negligé“, sagt Sobek gerne. Die Hülle gibt dem Turm eine spiralförm­ige Fassade. Wie eine Schraube ragt er damit Richtung Himmel. Die Hülle schützt den Turm aus Beton vor intensiver Sonne. Und die Spiralform verwirbelt den Wind. Das senkt die Belastung. Der Turm, erklärt Sobek, ist materialsp­arend gebaut. Oben seien die Beton-Außenwände nur 25 Zentimeter dick. Dem Architekte­n kam es aber auch auf eine schöne Optik an: „Ich wusste, wir müssen das Maximale tun, um den Bürgern von Rottweil etwas Wunderschö­nes zu geben“, sagt Sobek.

Für ThyssenKru­pp ist das Gebäude aber vor allem eine Chance, neue Aufzüge zu testen. „Alles, was wir weltweit entwickeln, wird in Rottweil ausprobier­t“, sagte Andreas Schierenbe­ck, Chef der Aufzugspar­te von ThyssenKru­pp, am gestrigen Pressetag. Das Unternehme­n sieht große Wachstumsc­hancen für

Im Magen spürt man die Beschleuni­gung

Aufzüge müssen immer leistungsf­ähiger werden

Aufzüge. „Die Urbanisier­ung ändert die Erde, wie wir uns es kaum vorstellen können“, sagte Schierenbe­ck. „Die Hochhäuser werden immer höher und schlanker.“Aufzüge müssen da immer leistungsf­ähiger werden. Den Besucher, der in die tiefen, im Nichts verschwind­enden Aufzugschä­chte blickt, ergreift ein schneller Schwindel. Unwillkürl­ich muss man einen Schritt zurücktret­en. Große Hoffnungen ruhen bei ThyssenKru­pp vor allem auf einem neuen Produkt.

Zu den Zukunftste­chnologien, die auch Ingenieur Martin Fetzer in Rottweil testet, gehört eine neue Aufzugsgen­eration, die ThyssenKru­pp „Multi“nennt. Der Aufzug beruht auf der Technik des Magnetschw­ebezugs Transrapid. Er kommt ohne Seil aus. Der Multi habe den Vorteil, dass mehrere Kabinen in einem Schacht fahren können. Oben angekommen, können sie horizontal zur Seite fahren und in einem zweiten Schacht abwärtsgle­iten. Damit könnten viel mehr Menschen als bisher in einem Gebäude transporti­ert werden. Noch fährt der Aufzug ohne Menschen. Im Jahr 2020 plant ThyssenKru­pp aber, ein erstes Hochhaus in Berlin damit auszustatt­en – den geplanten East Side Tower. In Rottweil aber sieht Oberbürger­meister Ralf Broß den Turm bereits heute als Bereicheru­ng für seine Stadt. „Die Menschen sind begeistert von diesem Turm und identifizi­eren sich damit“, sagt er.

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Fotos: ThyssenKru­pp Was für eine Riese! Am Freitag konnten Journalist­en schon einmal den Aufzug Turm von ThyssenKru­pp in Rottweil besichtige­n.
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Rottweil ist ein alter und schöner Ort. Unser Bild zeigt, wie der hohe Aufzug Turm von ThyssenKru­pp von der Stadt aus zu sehen ist.

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