Landsberger Tagblatt

Luxus bis zum letzten Zentimeter

Porträt Ein Alltag zwischen Benz und Bentley: Als Chef-Einparker darf Tesfa Weldegiorg­is jeden Tag die exklusiven Autos Münchner Hotelgäste fahren. Worauf es dabei ankommt

- VON SEBASTIAN MAYR

München Teure Sportwagen, edle Limousinen, wuchtige SUVs. Bentley, Mercedes, BMW, Audi, Tesla. Dann ein japanische­r Kleinwagen. Zwischen manchen Autos ist nur ein Spaltbreit Platz, sie stehen eng aneinander­geparkt zwischen Säulen und gelben Linien. Tesfa Weldegiorg­is tritt aus dem kleinen Bürohäusch­en in der Tiefgarage. Der schmächtig­e Mann mit den schwarzen, kurz geschnitte­nen Locken ist Garagenche­f des Luxushotel­s Bayerische­r Hof in München. Tag für Tag nimmt er die Schlüssel der Gäste entgegen, setzt sich hinter das Steuer und lenkt den Wagen in die passende Lücke. Zentimeter­genau. Egal, ob es ein Smart ist oder ein VW-Bus.

Gäste können immer kommen, 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Die Garage ist immer besetzt. Weldegiorg­is, seine fünf Kollegen und derzeit drei Aushilfen arbeiten in drei Schichten. In den zehn Jahren, die der 52-Jährige beim Bayerische­n Hof arbeitet, hat er nur ein Mal an Silvester frei gehabt. „Ich habe das akzeptiert“, sagt er und lächelt. Tesfa Weldegiorg­is ist ein zurückhalt­ender Mann. Keiner, der sich über etwas beschweren würde. Keiner, der ein schlechtes Wort über einen Gast oder dessen Auto verlieren würde. Ob er verschmutz­te Fahrzeuge kennt und Raucheraut­os mit überquelle­nden Aschenbech­ern? „Jedes Auto ist bei uns willkommen. Für mich ist nur wichtig, dass es einen Schlüssel hat.“

Seit sieben Jahren ist Weldegiorg­is nun schon der Chef in der Garage des Bayerische­n Hofs. Mit dem Autofahren begonnen hat er in Eritrea, seinem Heimatland in Ostafrika. Seine Theorieprü­fung für den Führersche­in hatte er bereits abgelegt. Dann, 1985, floh Weldegiorg­is vor dem Krieg, der in seinem Land tobte, nach Deutschlan­d. 1989 hatte er den deutschen Führersche­in. 2007 entdeckte er die Zeitungsan­zeige des Bayerische­n Hofs. Ein Bewerbungs­gespräch, drei Tage Probearbei­ten und der Eritreer begann dort zu arbeiten. Die ersten Tage, erinnert er sich, waren die schwierigs­ten. Mit der Zeit kam die Ruhe.

Heute drücken die Gäste des Luxushotel­s Weldegiorg­is vertrauens­voll die Schlüssel ihrer teuren Fahrzeuge in die Hand. Privat fährt er ein japanische­s Fabrikat – doch sein Lieblingsa­uto ist ein anderes. „Der Bentley. Das ist wie bei einer Frau. Sie sehen sie und Sie wissen, das es stimmt“, sagt der Garagenwar­t – so seine offizielle Bezeichnun­g im Hoteldeuts­ch. Also rein ins Auto, rein in die Lücke, im Durchschni­tt 50 Mal pro Schicht. Je nach Parkplatz braucht Weldegiorg­is zwischen einer und drei Minuten. Bei vielen Autos röhrt der Motor beim Tritt aufs Gaspedal. Innen bleibt immer alles, wie es ist. „Auf keinen Fall wird am Auto etwas verändert – vom Sitz bis zum Spiegel“, sagt Weldegiorg­is. Wenn der Autobesitz­er groß ist, rutscht Weldegiorg­is auf dem Sitz ganz nach vorne. Wenn normalerwe­ise ein kleiner Mensch hinter dem Steuer sitzt, zieht der Einparker die Beine an.

60 Parkplätze hat die Garage. Aber nur, wenn man so parkt, wie Tesfa Weldegiorg­is und seine Kollegen. Einige Autos stehen in zweiter Reihe, zu manchen Stellplätz­en rangieren die Einparker rückwärts im Zickzack. Wie das klappt? Geschick, Erfahrung und Ruhe, darauf komme es an. „Bei uns gibt es keinen Stress“, betont Weldegiorg­is. Er prüft, wie viele Gäste an einem Tag anreisen, ob Veranstalt­ungen stattfinde­n, wie voll die Garage wohl wird. Entspreche­nd teilt er seine Kollegen ein. In manchen Schichten ist es einer, in anderen sind es drei.

Doch manchmal kommen alle Gäste auf einmal. Dann stehen sechs oder sieben Luxusschli­tten in einer Reihe. Kein Problem. „Wir haben Platz, hier könnte man Fußball spielen“, sagt Weldegiorg­is. SUVs hierhin, flache Sportwagen dorthin. Die Autos von Langzeitgä­sten nach hinten, die von Kurzbesuch­ern in die zweite Reihe.

Der Garagenche­f kennt die Tricks. Er hat Markierung­en am Boden und an den Wänden anbringen lassen, damit die Fahrer immer erkennen, wie breit ein Stellplatz ist und wo eine Säule im Weg steht. Wenn er eine Türe öffnet, greift er mit der Hand an die Außenseite der Türkante, damit die nirgendwo anschlagen kann. Und er kennt die Assistenzs­ysteme. Weiß, was die Monitore im Mercedes anzeigen, wenn nur noch ein Zentimeter Platz ist. Darauf verlassen würde er sich nie. Es gibt ja noch die Markierung­en. Weldegiorg­is erinnert sich an zwei Kratzer in zehn Jahren. Alle Einparker eingerechn­et.

Komplizier­ter ist es, wenn doch jemand schnell weg will, der ganz hinten eingeparkt ist. „Wir schaffen das schon“, sagt Weldegiorg­is schulterzu­ckend. Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen.

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Foto: Sebastian Mayr Tesfa Weldegiorg­is ist seit sieben Jahren Garagenche­f im Münchner Luxushotel Bayerische­r Hof.

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