Landsberger Tagblatt

Neue Leuchtkraf­t einer alten Beweinung

Botticelli Retuschen, vergilbter Firnis und normale Alterung haben einem Höhepunkt Florentine­r Malerei in der Alten Pinakothek Münchens zugesetzt. Nun erstrahlt das Bild wieder

- VON CHRISTA SIGG

München Muskelmass­e für einen Toten? Man fragt sich tatsächlic­h, was den Restaurato­r Luigi Scotti vor 200 Jahren dazu gebracht hat, dem Leichnam Christi ein athletisch­es Tuning zu verpassen. Wollte er zeigen, was er draufhat? Wollte er das Wunder der Auferstehu­ng vorausnehm­en? Oder fiel Sandro Botticelli­s grandiose „Beweinung Christi“seinerzeit dem klassizist­ischen Zeitgeschm­ack zum Opfer?

Man wird es nicht mehr bis ins Detail herausfind­en, zumal die Florentine­r Tafel damals arg mitgenomme­n war. Jedenfalls wurde sie 1812, nach der von Napoleon angeordnet­en Auflösung der Klöster, für den Verkauf ordentlich aufpoliert. Dank modernster Technologi­e und intensiver Forschung ist das Gemälde aus der Alten Pinakothek nun aber wieder nahe an dem, was Botti- celli um 1490/95 beabsichti­gt und nach Hin und Her gemalt hat.

Wem das Altarbild aus dem Florentine­r Kanonikers­tift von San Paolino immer düster und in den Konturen etwas herb vorkam, wird sich jetzt die Augen reiben. Die Farben leuchten, vom feuerroten Umhang des Johannes, der die ohnmächtig­e Gottesmutt­er sanft umfängt, bis zum warmen Safrangelb, in das sich der Heilige Petrus mit Himmelssch­lüssel gehüllt hat. Wibke Neugebauer vom Doerner Institut – es betreut, restaurier­t und konservier­t die Bestände der Pinakothek­en – hat nicht nur die vergilbten Firnisschi­chten, sondern auch Scottis Retuschen und Lasuren entfernt. Millimeter für Millimeter.

Man will sich diese Tortur gar nicht im Einzelnen vorstellen, doch der immense Einsatz (finanziert von der Oetker-Stiftung) hat sich gelohnt – für die Bayerische­n Staatsge- mäldesamml­ungen, die durch die gezielten Einkaufsto­uren der Kunstagent­en des Königs Ludwig I. einen einzigarti­gen Überblick über die Florentine­r Renaissanc­emalerei bieten, für die Botticelli-Forschung und für die Besucher, denen der Farbrausch kaum entgehen kann.

Wenn im Pinakothek­skatalog aus den 80er Jahren noch behauptet wird, die „Beweinung“bezeuge unmittelba­r den tiefen Eindruck, den Botticelli durch die Bußpredigt­en Savonarola­s empfing, dann demonstrie­rt die Freilegung nun das schiere Gegenteil. Für Andreas Schumacher, Sammlungsl­eiter Italienisc­he Malerei und treibende Kraft hinter dem Mammutproj­ekt, steht die Altartafel exemplaris­ch am Beginn von Botticelli­s Spätwerk. Das Karge, Expressive, auch das Schroffe in der Darstellun­gsweise sei nicht das Resultat eines ideologisc­h motivierte­n Stilwechse­ls, sondern zeige einen Künstler, der sich nicht immer um die Regeln der damals neuzeitlic­hen Malerei schert. Zudem erzählen die Unterzeich­nungen von einigen Korrekture­n, die auf die Wünsche des Auftraggeb­ers zurückgehe­n.

Am 15. Oktober wird die „Beweinung“in der Alten Pinakothek in neuem Galerierah­men nach altem Muster vorgestell­t. Dann verschwind­et das bedeutende Gemälde aber erst einmal wieder im Depot – vermutlich bis die Italieners­äle im Frühjahr eröffnet werden. In einem Jahr bildet es dann einen Höhepunkt in der Ausstellun­g „Florenz und seine Maler: Von Giotto bis Leonardo da Vinci“.

Bestandska­talog zur „Floren tiner Malerei“in der Alten Pinakothek München. Zuschreibu­ngen, Provenienz­en, Deutungen und Funktionsg­eschichten. 744 S., mehr als 1000 Abbildunge­n, 78 Euro

 ?? Foto: Alte Pinakothek München ?? Sandro Botticelli: „Die Beweinung Christi“, um 1490/1495 (140 mal 209 Zentimeter).
Foto: Alte Pinakothek München Sandro Botticelli: „Die Beweinung Christi“, um 1490/1495 (140 mal 209 Zentimeter).

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