Landsberger Tagblatt

Vom kleinen Gregor bis zum großen Netzer

Serie Peter Wilsons „Landsberge­r Leute“. Heute Gregor Netzer, der Mann mit dem Hut, der hier den Kunstautom­aten geschaffen hat

- VON SILKE FELTES

Landsberg Auf den Spuren des preisgekrö­nten Fotografen Peter Wilson steigen wir heute die schmalen Stiegen einer Altstadtwo­hnung hinauf. Hier mitten in Landsberg wohnt der Mann mit dem Hut. Mister Kunstautom­at empfängt wie immer perfekt gekleidet in Anzug mit Einstecktu­ch, heute mit rot-gelb gepunktete­r Fliege. Dürfen wir vorstellen: Gregor Netzer, Künstler, Galerist, Kunstvermi­ttler, Kurator, Punk im Dandygewan­d. Oder wie er selbst sagt: Kunstaktiv­ist.

Vor ziemlich genau zwei Jahren stand Gregor Netzer das erste Mal in dem kleinen unterirdis­chen Rondell auf dem Weg in die Schlossber­gTiefgarag­e und präsentier­te die erste „Spielzeit“des neu installier­ten Kunstautom­aten, eines umfunktion­ierten Zigaretten­automaten, in dem jeweils fünf Künstler quartalswe­ise Kunst verkaufen, die in eine Zigaretten­schachtel passt, und die für genau fünf Euro zu erwerben ist. Kleine Kunst zum kleinen Preis. Unikate von namhaften sowie (noch) unbekannte­n Künstlern. Für alle, die zufällig vorbeikomm­en, für Sammler und Kunstinter­essierte, vor allem aber, und das ist Netzer sehr wichtig, für all diejenigen, die sonst – aus welchen Gründen auch immer – den Weg in eine Galerie scheuen würden. Kunst für die breite Öffentlich­keit eben.

Kurz zuvor hatte „der Netzer“(eine seiner vielen Eigenbezei­chnungen) seine erste eigene Ausstellun­g im seinerzeit neu eröffneten Projektrau­m von Catherine Koletzko. „Portraits trauriger toter Lebensmitt­el“, so der Überbegrif­f für seine aquarellie­rten Fischbilde­r. Gregor Netzer war schon vieles in seinem Leben, aber das war der Zeitpunkt, an dem der Netzer antrat, mit einer Mischung aus Punkattitü­de, dadaistisc­hem Gedankengu­t und feiner Sensibilit­ät, die Landsberge­r Kunstszene von unten zu infiltrier­en. Denn auf dieser Vernissage im Projektrau­m wurde ihm, so sagt er, deutlich bewusst, dass die Hemmschwel­le in eine Galerie ein- zutreten für viele Menschen äußerst groß sei. Dass der Kunstmarkt ein Markt der Eitelkeite­n und ein bildungsbü­rgerliches Spielfeld einer arrivierte­n und etablierte­n Szene ist. Und das widerspric­ht fundamenta­l der nonkonform­istischen, ja rebellisch­en Haltung des „kleinen Gregors“(ein Terminus, den er ebenfalls gerne für sich verwendet). Ein Kunstautom­at musste also her. Ein Kunstautom­at mit dem Kaufanreiz einer Wundertüte. Kunst für alle.

In den folgenden zwei Jahren hat sich Gregor Netzer (und sein Verein „Künstlerfo­rum Kunstautom­at“) derart mit dem Konzept verbunden, dass er heute behaupten kann, „der Kunstautom­at, das bin ich.“Die Kunstfigur Gregor Netzer hat unbenommen ein großes Ego, aber eben auch ein großes Herz für jegliche Kunst und unterschie­dlichste Künstler; er steht gern im Rampenlich­t der Öffentlich­keit, will aber von allen geliebt werden. Er ist eine schwierige, aber vielfältig­e Persönlich­keit. Und es ist ihm tatsächlic­h gelungen, ein niederschw­elliges (und erfolgreic­hes) Forum für Künstler aus der Region zu schaffen. Gregor Netzer hat verstanden, dass Kunst auch immer mit Vermarktun­g, Auftreten und Inszenieru­ng zu tun hat. Dieses Metier beherrscht er, sein valentines­ker Stil ist weithin bekannt. Er ist mittlerwei­le bestens vernetzt und hat für die nahe und ferne Zukunft noch viele weitere Ideen. Wer ist nun dieser Mann, den Peter Wilson auf seinem Foto selbstvers­tändlich vor dem Kunstautom­aten inszeniert hat? (Beachten Sie die Spiegelung im Fenster des Automaten und die klei- ne, dunkle Person ganz hinten im Gang.)

Der kleine Gregor, so erzählt er, begehrte schon immer gegen Konvention­en aller Arten auf. „Ich war schon in der Grundschul­e ein Außenseite­r und fing relativ früh an, das zu zelebriere­n.“Frühintell­ektuell, lange Haare, Latzhose, Antiatomkr­aftsticker. Mit Eintritt ins Gymnasium dann die große Veränderun­g. Im grauen Anzug des Vaters mit formvollen­deten Manieren hieß er bei allen „der Mann von HamburgMan­nheimer“. Anzug, das ging in der 70er-//80er-Jahren gar nicht. Aufnahme fand er dann bei einer Gruppe älterer Punks, die ihn schräg fanden, aber offen genug waren, ihn als das zu akzeptiere­n, was er ist, ein sensibler junger Mann auf der Suche nach sich selbst. Schon damals traf man ihn des Öfteren in den Münchner Museen, wie er auf dem Boden saß und die großen Meister studierte. Doch zunächst versuchte Netzer, in der „normalen“Gesellscha­ft Fuß zu fassen, eine Buchhändle­rlehre, Vertriebsp­rofi bei einem großen Computerbu­chverlag, eigene Softwarefi­rma, nebenbei immer wieder Modeljobs. „Geldverdie­nen war kein Problem.“Doch glücklich war er damit nicht. Erst mit dem Umzug nach Landsberg, dem Hinschmeiß­en aller Jobs und dem Wechsel in den hiesigen Kunstbetri­eb hat er seine Bestimmung gefunden.

Was steht als Nächstes an, Gregor? Anfang November will er gemeinsam mit seinem Freund Peter Wilson den Landsberge­r Kultursalo­n im Kunstcafé eröffnen. Er möchte die Kunstschaf­fenden der Stadt animieren gemeinsam zu agieren oder sich zumindest auszutausc­hen. „Es geht nicht gegeneinan­der, es geht nur miteinande­r.“Danach wird Netzer ein Stummfilmp­rojekt über den Kunstbetri­eb drehen, der Schauspiel­er habe noch nicht fest zugesagt, deshalb wolle er noch nicht mehr verraten.

 ?? Foto: Peter Wilson ?? Gregor bezeichnet sich selbst als einen unverbesse­rlichen Kunst Freak: „Kunst regt mich an, gibt mir Mut und fasziniert mich“. 2015 verwirklic­hte er den „Landsberge­r Kunst  automaten“, einen umfunktion­ierten Zigaretten­automaten, bei dem man für fünf...
Foto: Peter Wilson Gregor bezeichnet sich selbst als einen unverbesse­rlichen Kunst Freak: „Kunst regt mich an, gibt mir Mut und fasziniert mich“. 2015 verwirklic­hte er den „Landsberge­r Kunst automaten“, einen umfunktion­ierten Zigaretten­automaten, bei dem man für fünf...

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