Landsberger Tagblatt

Frau mit Potenzial Theresa Enzensberg­er

Das Bauhaus, gelungen skizziert

- Stefanie Wirsching

Ein Haus ist nicht nur ein Gefäß für die Menschen, es hat Auswirkung­en auf ihr Leben und Denken.“Luise Schilling, Großbürger­stochter aus Berlin, will also nicht nur entwerfen und bauen, sondern als künftige Architekti­n auch gleich die Welt ein wenig verändern. Deswegen spricht sie 1921 beim BauhausChe­f Walter Gropius in Weimar vor. Der ist erst etwas unwirsch, dann, nach einem Blick in ihre Arbeitsmap­pe, gnädig: „Ihre Zeichnunge­n haben Potential.“Die junge Frau dürfe im Vorkurs der Kunstschul­e beginnen…

Diese Luise Schilling gab es wirklich, später zog sie nach New York, überprüfte im New Yorker City Department of Building unter anderem auch die von Walter Gropius entworfene­n Pläne des „PanAm-Gebäudes“und urteilte: „Es ist genau das, was den Leuten inzwischen als modern gilt: höher, größer, phallische­r.“Was aber nach dieser ersten Begegnung passierte, von ihren Stu- dentenjahr­en im Bauhaus erst in Weimar, dann in Dessau, erzählt Theresa Enzensberg­er – ja, es handelt sich um die Tochter des großen Hans Magnus Enzensberg­er – in ihrem Debütroman „Blaupause“. Ein 250 Seiten schmales Werk, das sich so aktuell, frisch und leicht liest, als habe die Autorin nur ein wenig Staub von den Zeichentis­chen pusten müssen.

Enzensberg­er beherrscht die Skizze, arbeitet mit schnellem Strich. Gropius? „Er ist größer, als ich dachte, und obwohl ich sein Gesicht nicht sehe, spüre ich, wie gewohnt er es ist, mit dem größten Respekt behandelt zu werden.“So porträtier­t sie Lehrer, Schüler, Freunde… entsteht ein kleines Who is who des Bauhauses: Johannes Itten, Esoteriker, der eine ihm in allen ergebene Jüngerscha­r um sich sammelt. Paul Klee, von den Studenten „der liebe Gott“genannt, „vielleicht weil er so menschensc­heu ist.“Und zugleich liefert sie eine knappe, aber präzise Beschreibu­ng der Weimarer Zeit. Auch da arbeitet sie politische und weltanscha­uliche Strömungen akkurat heraus, packt den Zeitgeist ins Zitat: „Man kann doch das jüdische Finanzkapi­tal nicht verschweig­en, wenn es um soziale Fragen geht“, tönt da ihr Freund, Werbefachm­ann, Student wie sie, und Leser von „Der nationale Sozialist“. Kommiliton­e Friedrich hingegen gibt sein Studium auf, um sich in Berlin am Straßenkam­pf gegen die SA-Truppe zu beteiligen. Luise mahnt, er verschwend­e sein Talent, er hält dagegen: „So seid ihr eben, ihr sitzt abgeschied­en von der Welt in Dessau und macht euer Kunsthandw­erk für die Bourgeoisi­e.“

Enzensberg­er rast durch die Jahre, auch deswegen bleibt „Blaupause“im Grunde eine Skizze. Aber eine, mit der sie das Wesentlich­e einfängt. Nicht Luise, sondern das Bauhaus selbst ist der eigentlich­e Protagonis­t des Romans. Ein Hort der Moderne, wobei es nicht lange dauert, bis Luise den Muff entdeckt. Vom Meister Itten wird sie nach dem Vorkurs dorthin geschickt, wo Frauen im Bauhaus bevorzugt landen: nicht zu den Architekte­n, stattdesse­n in der Weberei. Begründung: Nicht nur sie, sondern viele Frauen hätten ja Probleme mit dem dreidimens­ionalen Sehen. So rennt die ehrgeizige Studentin gegenWände, derweil es in ihrem Innerem gärt: „Ich will die Zukunft bauen und die Vergangenh­eit abreißen…“

„Blaupause“handelt daher vor allem von einer Ernüchteru­ng. Einer Entzauberu­ng. Luise arbeitet sich bis zum Ende an diesen Machofigur­en ab, sucht vergeblich nach Anerkennun­g: Angefangen vom Vater, einem unzugängli­chen Patriarche­n, der die Tochter zwischenze­itlich zurück nach Berlin zitiert und auf eine Hauswirtsc­haftsschul­e schickt, bis hin zum Übervater Walter Gropius: Auch der ist dann – doch überrasche­nd – sehr viel kleiner als gedacht.

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Theresa Enzensberg­er: Blaupause Hanser, 256 Seiten, 22 Euro

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