Landsberger Tagblatt

Der deutschdeu­tsche Idiot

Ingo Schulze Ein Schelmenro­man über das Geld in Sozialismu­s und Kapitalism­us – geht das gut?

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Die Idee ist köstlich. Man nehme einen Helden in der DDR, der Wort für Wort glaubt, was ihm die Propaganda von Kindheit an über die zersetzend­e Kraft des Kapitals und das Heil der sozialisti­schen Gesellscha­ft einimpft: der Einzelne als Teil des Gemeinwese­ns. Als schließlic­h doch alles in der Pleite zusammenbr­icht, fällt er zunächst ins Koma – und versucht sich dann eben so rechtschaf­fen wie möglich im Kapitalimu­s des wiedervere­inten Deutschlan­d zu behaupten. Wieder glaubt er an die Verspreche­n des Systems, glaubt an den Segen des Privateige­ntums: Jeder für sich und dadurch alle für das Wachstum des Ganzen. So versucht er auch als plötzliche­r Millionär den Profit für den Wohlstand der Menschen einzusetze­n. Er scheitert aber auch daran. Geld kennt keine Moral, es will, wo es ist, bloß immer mehr werden. Und selbst die vermeintli­ch erhabene Kunst ist längst von Spekulatio­nen verseucht. So sitzt er – die letztmögli­che Heldentat – schließlic­h am Alexanderp­latz und verbrennt einen Tausend-MarkSchein nach dem anderen…

Zu viel verraten? Nein. Denn „Peter Holz – Sein glückliche­s Leben erzählt von ihm selbst“, dieser neue Roman des stets politisch en- gagierten Autors Ingo Schulze, lebt von der Tragikomik all der kleinen Szenen, in denen er serviert wird: zehn Bücher mit jeweils mehr als 20 Kapiteln, eine bunte Revue des persönlich­en Scheiterns und des gesellscha­ftlichen Aberwitzes.

Schulze nimmt dabei Maß an der großen Tradition des Schelmenro­mans. Vom barocken „Simplicius Simpliciss­imus“Grimmelsha­usens über Voltaires aufkläreri­schem „Candide“als Spott auf Leibniz’ Beschreibu­ng unseres Lebens in der „besten aller möglichen Welten“bis zu Dostojewsk­is Jesus-Roman „Der Idiot“als Beleg des Scheiterns des Guten, der Liebe und der Wahrhaftig­keit in der menschlich­en (zumal modernen) Welt – die Spuren lassen sich hier überallhin verfolgen. Sein Held Peter Holz nämlich, aufgewachs­en als Waise, aber von einem herzensgut­en Ehepaar angenommen und aufgezogen, glaubt. An Ideale, an Werte, an den Menschen. Er sieht auch die Not einer Prostituie­rten, hilft ihr, weil er es kann – wird darüber aber unversehen­s zum Betreiber eines eigenen Bordells. Kapitalism­us, Baby!

So führt Ingo Schulze in unstillbar wirkender Lust diesen Helden in immer neue Dramen am Rande der deutsch-deutschen Geschichte. Die Stasi versucht ihn für ihre Zwecke einzuspann­en wie später die CDU in ihrer Osterweite­rung. Aber weil Peter Holz in seiner Naivität und Arglosigke­it unbestechl­ich bleibt, eignet er sich nicht zur Instrument­alisierung. Über so einen kann Gerhard Schröder dann nur herzhaft lachen, für einen solchen hat Künstlerfü­rst Markus Lüpertz nur Verachtung übrig. Und die Prediger der entfesselt­en Märkte stoßen mit ihren Wachstums-Evangelien bei einem solchen auf das Granit eines einzigen Wortes: Wozu? Spätestens als dieser Peter Holz erkennt, dass immer noch mehr Geld nur immer noch unmögliche­r ohne negative Folgen in die Welt zu bringen ist…

Fast über 600 Seiten treibt der ja zuverlässi­g eindrucksv­olle Romancier Ingo Schulze sein moralisch unterfütte­rtes Schelmenst­ück. Und interessan­t: Er hat dafür neben einem Platz auf der Nominierun­gs-Longlist für den deutschen Buchpreis bereits enthusiast­isches Lob von eher kapitalism­uskritisch­er Seite ( SZ) und genervtes Abwinken von eher marktfreun­dlicher Seite ( Welt) geerntet. Ist seine Wirkung also eine Frage der Haltung zur aktuellen Ökonomie? Denn: Darf ein deutschdeu­tscher Idiot die Verblendun­gen der Demokratie gleichrang­ig mit denen der Diktatur entlarven?

Tatsächlic­h zielt Schulzes fernsehser­ientauglic­he Satire aber tiefer ins deutsche Fleisch: Es geht um das Missverstä­ndnis einer „Befreiung“des Ostens zu den Beglückung­en für alle im Westen. Und deren Folgen werden ja gerade politisch wieder virulent. Wenn dem Autor ein Vorwurf zu machen ist, dann dieser: Er ist in der Umsetzung maßlos geworden, scheut keinen Kalauer und verliert darum in der Strecke an Witz und Schärfe. Es ist also nicht ganz gut gegangen. Wolfgang Schütz

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Die Künstler und das Rotlicht – das gehörte in Paris traditione­ll zusammen: Autor Francis Caro, hier 1951 mit der Sängerin Colette Mars, prägte das Bild von Vierteln wie dem Pigalle nachdrückl­ich mit. Foto: afp
 ??  ?? Ingo Schulze: Peter Holz – Sein glückliche­s Leben erzählt von ihm selbst S. Fischer, 576 Seiten, 22 Euro
Ingo Schulze: Peter Holz – Sein glückliche­s Leben erzählt von ihm selbst S. Fischer, 576 Seiten, 22 Euro
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Norbert Scheuer: Am Grund des Universums C. H. Beck, 240 Seiten, 19,95 Euro
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Dietmar Dath: Der Schnitt durch die Sonne S. Fischer, 368 Seiten, 24 Euro

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