Landsberger Tagblatt

Nero ist in New York Salman Rushdie

Und es brennt im „Golden House“

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Man bleibt schon ein bisschen haltlos zurück, wenn das Leben weiter wirbelt, das „Golden House“abgebrannt ist und 512 Seiten Salman Rushdie zugeklappt sind. Zumal man ja nicht weiß, welche Brunst der grünhaarig­e Joker in Washington noch entfachen wird.

Denn „Golden House“, diese „History of Violence“, die dieser Gesellscha­ftsroman natürlich auch ist, beschreibt nicht den plötzliche­n Einbruch der Gewalt in ein vermeintli­ches Idyll. Er beschreibt ein amerikanis­ch-indisches Panorama, beginnend am Tag der Amtseinfüh­rung Obamas, endend im Jahr 1 seines gefährlich-irrlichter­nden Nachfolger­s. Und erzählt dabei von der dynamische­n Verrohung politische­r Kultur, der fortgeschr­ittenen Spaltung Amerikas, gespiegelt in der originell-ziselierte­n Gedankenwe­lt einiger Ostküsten-Intellektu­eller und den aus Indien zugereiste­n Protagonis­ten: Es ist der Professore­nSohn René Unterlinde­n, der in der Tragödie der neuen Nachbarn – Nero Golden und seinen drei Söhnen – den Stoff seines Lebens als Filmemache­r gefunden zu haben glaubt. Aus gutem Grund: Denn der alte Bau-Tycoon aus Mumbai hat nicht nur seine Mafia-Vergangenh­eit, sondern auch sonst einige Abgründe zu verbergen. Und dazu kommt die schöne Russin, die beschließt, dass sie und ihr DeluxeKörp­er eine prächtige Investitio­n für Neros Milliarden seien und die der filmreifen Story das nötige Drehmoment gibt. In Richtung Abgrund.

Es ist zunächst die Geschichte einer Flucht vor Gewalt. Bevor diese dann, unvermeidl­ich, Golden und die Seinen wieder heimsucht. Wie der stinkend reiche Mann mit dem billigen Odeur seine indische Heimat verlässt, nachdem seine Frau 2008 im Taj Mahal Palace von den Terroriste­n getötet wurde, wie er und seine Söhne ein neues Leben beginnen, ihren Platz in der Gesell- schaft suchen und sich dabei neu erfinden, das schneidet der Filmemache­r René in einer Art DrehbuchFr­agment zusammen. Allerdings weisen ihm das Schicksal und sein künstleris­cher Voyeurismu­s dabei ungewollt eine Hauptrolle zu.

Das funktionie­rt formal fabulös. Allerdings muss der Leser damit klarkommen, dass Rushdie sich nicht nur weitreiche­nde cineastisc­he Kenntnisse zu eigen gemacht hat, sondern generell mit seiner Belesenhei­t nicht gerade dezent umgeht. David Cronenberg ist nur einer von gefühlt tausend Regisseure­n, die erwähnt, zitiert, deren Szenen benutzt und variiert werden. Aber auch beim Namedroppi­ng gilt: Weniger ist oft mehr. Selbst dann, wenn die erzählende Hauptfigur ein vorzüglich verbildete­r Film-Nerd ist. Dennoch liest sich das alles klug, elegant, pointiert. Außerdem ist man ja gerne in New York, folgt den Volten der Söhne, dem autistisch­en GameProgra­mmierer Petya, dem Künst- ler und Galeristen-Darling Apu und dem/der Dritten, D, der seine/ihre Identität noch zwischen den Geschlecht­ern sucht.

„Golden House“ist ein Porträt der erodierend­en Gegenwelt von fly-over-country, dessen Bewohnern der grünhaarig­e Joker seine Macht verdankt. Einer diskursfäh­igen Welt, in der man sich fragt: „Wie lebst du unter deinen Mitbürgern (...) wenn dir deine amerikanis­chen Landsleute sagen, Wissen sei elitär und sie würden die Eliten hassen, und alles, was du je gehabt hast, ist dein Verstand, und du wurdest in dem Glauben an die Schönheit des Wissens aufgezogen und nicht an den Unsinn von Wissen-ist-Macht, sondern Wissen ist Schönheit, und dann wird all das, Bildung, Kunst, Musik, Film, zu einem Grund, dass man verachtet wird und die Kreatur aus dem Spiritus Mundi erhebt sich und geht nach Washington, D. C., um geboren zu werden.“Bitte lesen. Feuer nicht gelöscht. Stefan Küpper

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Salman Rushdie: Golden House a. d. Englischen von Sabine Herting, C. Bertelsman­n, 512 Seiten, 25 Euro

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