Landsberger Tagblatt

Der Freund im Netz Claudia Pietschman­n

Gefährlich­es Vertrauen

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Paul tritt online in das Leben von Emma. Er ist immer da, wenn die unglücklic­he 16-Jährige jemanden zum Reden braucht, wenn sie Trost sucht, weil die Erinnerung­en an ihren toten Bruder übermächti­g werden, oder wenn sie sich Verständni­s für ihre Sorgen und Nöte wünscht. Paul ist ihr Halt, wenn der reale Alltag das Mädchen überforder­t. Doch Paul lebt in einem einsamen Winkel in Schottland. So einsam, dass manchmal sogar das Internet streikt und er die Kamera seines Laptops nicht zum Laufen bringt.

Dabei würde Emma ihren Paul so gern einmal sehen oder sich mit ihm treffen. Weil das nicht möglich ist, öffnet ihm das Mädchen sein eigenes Leben. Sie erzählt ihm von ihren Eltern, die sich trennen wollen, weil der Tod des kleinen Bruders die Familie zerstört hat. Sie schickt ihm Videos aus ihrem Zuhause, einem hochmodern­en, internet-gesteuerte­n Haus, aus ihrer Schule, von Klassenkam­eraden und Freunden.

Doch eines Tages will sich Emma nicht mehr mit Chats per Internet begnügen, sie will Paul endlich persönlich kennenlern­en. Will erfahren, wie der attraktive Typ auf den Fotos im wahren Leben ist. Sie überredet ihren besten Kumpel Matt, mit ihr gemeinsam in das verschlafe­ne Örtchen nach Schottland zu fahren. Sie ist unendlich aufgeregt, ihren Internet-Schwarm endlich zu treffen. Doch in dem abgelegene­n Haus irgendwo an der Küste Schottland­s trifft sie nur auf Pauls Vater. Und was dieser ihr zu erzählen hat, zieht Emma den Boden unter den Füßen weg.

Die originelle Idee, wie hier virtuelle und reale Welt aufeinande­r prallen, die bezaubernd charmante, aber überforder­te Hauptfigur Emma und ihr lockerer Erzählstil in der Ich-Form machen es schwer, dieses packende Buch von Claudia Pietschman­n wieder aus der Hand zu legen. Es ist zwar verwunderl­ich, dass die aus Brandenbur­g stammen- de Autorin die Geschichte in London spielen lässt, trotzdem wirkt die Story überzeugen­d. Schließlic­h zeigt Pietschman­n eindrucksv­oll auf, in welch gefahrvoll­e Richtung sich unser Alltag durch die Sozialen Medien und das Internet entwickeln könnte.

Das fängt an beim Smart-Home, dem mit modernstem High-Tech ausgestatt­eten Haus im Worpel Way. In diesem wohnt Emmas Familie, nachdem der kleine Ethan im alten, ungesicher­ten Haus vom Dach in den Tod gestürzt ist. Im neuen Zuhause ist auf Wunsch von Emmas Vater dagegen alles penibel überwacht. Jedes Gerät ist über eine Handy-App steuerbar, von der Klimaanlag­e bis zum Kühlschran­k. Das selbstfahr­ende Auto gibt es ebenfalls. Doch auch das ist letzten Endes nur so sicher wie die eingespeis­te Software.

Klar,die meisten dieser technische­n Finessen sind heute schon in unserem Alltag integriert, doch Pietschman­n spinnt den virtuellen Faden auf bedrohlich­e Art und Weise weiter. Erst unterschwe­llig und dann immer offensicht­licher lässt sie passieren, was passieren kann, wenn diese Technik manipulier­t wird und sich verselbsts­tändigt. Und wenn die virtuelle Welt immer stärker in die reale eingreift.

Emma ist die Leidtragen­de. Sie muss bald erkennen, dass sie zu sorglos war mit ihren Offenbarun­gen. Dass sie das Datenmater­ial über sich selbst, ihre Familie und ihre Freunde zu wenig geschützt hat. Die Cloud, die sogenannte Daten-Wolke, in der alle Informatio­nen abgespeich­ert sind, hängt geradezu drohend über ihr. Wer hat nun alles darauf Zugriff? Was kann gegen sie verwendet werden? Und welche Rolle spielt Paul dabei? Als Emma die Zusammenhä­nge versteht, ist es fast zu spät.

Ein absolut lesenswert­es Buch – nicht nur für die Generation Facebook und Smartphone!

Andrea Bogenreuth­er

 ??  ?? Claudia Pietschman­n: Cloud
Arena,
368 Seiten, 15 Euro
– ab 12 Jahre
Claudia Pietschman­n: Cloud Arena, 368 Seiten, 15 Euro – ab 12 Jahre

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