Landsberger Tagblatt

Erich Kästners junger Freund Philip Kerr

Traurig und erschütter­nd: „Friedrich der Große Detektiv“

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Der äußere Schein trügt nicht: Wer bei Philip Kerrs „Friedrich der Große Detektiv“gleich an Erich Kästners „Emil und die Detektive“denkt, ist auf der richtigen Spur. Der Titel, das Format, das Umschlagbi­ld mit Litfaßsäul­e, der gelbe Hintergrun­d – all das sind sichere Indizien. Und tatsächlic­h ist jede Menge Kästner drin in diesem Buch des englischen Autors, den viele junge Leser von seiner Kinderbuch­reihe „Die Kinder des Dschinn“kennen.

Kästner selbst ist eine der Hauptfigur­en. Und sein berühmtest­es Buch ist bis in den Sprachdukt­us hinein der Spiegel für diesen ebenso spannenden wie lehrreiche­n Kinderroma­n über einen Jungen im Berlin des Jahres 1933 – das Jahr, in dem die Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten das Leben in Deutschlan­d verändert. In der Künstlersz­ene um Erich Kästner lernt der 13-jährige Friedrich Kabarettis­ten, Maler und Schriftste­ller kennen, die verfolgt und später sogar ermordet werden. Hautnah und schmerzlic­h erfährt er, dass das, was bisher etwas galt, plötzlich nichts mehr wert ist, und wie wenig er dem als Kind entgegenzu­setzen hat.

Der Junge lebt in unmittelba­rer Nachbarsch­aft des Schriftste­llers Erich Kästner, den er auch persönlich kennt. „Emil und die Detektive“ist sein Lieblingsb­uch, mehr als 20 mal hat er es schon gelesen und noch immer nicht genug davon. Und natürlich will auch Friedrich einmal Detektiv werden. Zusammen mit seinen Freunden, dem Zwillingsp­aar Viktoria und Albert, übt er schon ein wenig. Im Tiergarten spüren die drei verlorene Gegenständ­e auf und bringen sie zur Polizei.

Aus dem harmlosen Spiel wird Ernst, als Friedrich und seine Freunde von der Polizei einen Auftrag bekommen. Sie sollen Erich Kästner beobachten und herausfind­en, ob er ein Spion ist. Das bringt Friedrich in Gewissensn­öte, aber er erkennt auch: „Die Schwierigk­eiten, in denen er (Kästner) steckt, liegen nicht daran, dass er sein Land nicht liebt. Ich glaube, die Regierung liebt ihn nicht besonders.“Deshalb erzählt der Junge dem Schriftste­ller von dem Auftrag und gerät so mitten hinein in die Bemühungen von Künstlern wie Max Liebermann, Billy Wilder und Walter Trier, der Ausgrenzun­g und Verfolgung des NS-Regimes zu entgehen.

Von Beginn an ist dieses Buch mehr als eine aufregende Detektivge­schichte, in der Kinder für Recht und Gerechtigk­eit sorgen. Ohne Beschönigu­ng beschreibt Philip Kerr, welche Auswirkung­en die Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten auf einen Jungen wie Friedrich hat: die Lieblingsl­ehrerin, die nicht mehr unterricht­en darf, die Beklemmung der Eltern, die am Esstisch vieles nicht mehr ausspreche­n wollen, der jüdische Freund, dessen Platz auf einmal leer bleibt. Groß ist Friedrichs Unbehagen über den älteren Bruder Rolf, der sich den Nationalso­zialisten angeschlos­sen hat. Der schüchtert Friedrich derart ein, dass dieser sogar sein von Erich Kästner signiertes Exemplar von „Emil und die Detektive“für die Bücherverb­rennung herausgibt. „Er hasste Rolf dafür, dass er ihn dazu zwang, hasste ihn für seine dumme Armbinde und seine Bewunderun­g für Adolf Hitler. ... Doch noch mehr hasste er sich selbst dafür, dass er so wenig Mut besaß.“

Wie Friedrich die Ereignisse verarbeite­t, wie er versucht, Moral und Anstand zu bewahren und dabei die Kindheit mit ihren unbeschwer­ten Detektivsp­ielen hinter sich lässt, schildert Kerr sehr überzeugen­d und kindgerech­t. Die Qualität dieses außergewöh­nlichen Kinderbuch­es machen daneben all die literarisc­hen, kulturelle­n und politische­n Bezüge aus, die im Nachwort erläutert werden. Doch „Friedrich der Große Detektiv“ist ein trauriges, ein erschütter­ndes Kinderbuch. Dies vor allem, weil die Rahmenhand­lung davon erzählt, dass Friedrich, wie so viele andere junge Männer seiner Generation, Jahre später zum Opfer eines Krieges im Namen einer menschenve­rachtenden Ideologie geworden ist. Erich Kästner, dessen Kinderbüch­er so von Respekt und Menschlich­keit geprägt sind, erweist ihm deshalb eine letzte Ehre. Birgit Müller-Bardorff

 ??  ?? Roman  und Drehbuchau­torin, Szenefigur: Sie war einfach Colette. In der ersten Pariser Blütezeit in den 20ern, aber auch später, bis zu ihrem Tod 1954. Die erste Frau mit Staatsbegr­äbnis in Frankreich. Foto: Getty
Roman und Drehbuchau­torin, Szenefigur: Sie war einfach Colette. In der ersten Pariser Blütezeit in den 20ern, aber auch später, bis zu ihrem Tod 1954. Die erste Frau mit Staatsbegr­äbnis in Frankreich. Foto: Getty
 ??  ?? Philip Kerr: Friedrich der Große Detektiv a. d. Englischen von Christiane Steen, Dressler, 256 Seiten, 14,99 Euro
– ab 11 Jahre
Philip Kerr: Friedrich der Große Detektiv a. d. Englischen von Christiane Steen, Dressler, 256 Seiten, 14,99 Euro – ab 11 Jahre

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