Landsberger Tagblatt

Wollen „die Katalanen“wirklich Spanien verlassen?

Leitartike­l Nach den radikalen Kräften geht endlich auch die „schweigend­e Mehrheit“auf die Straße. Aber noch ist der große Showdown nicht abgewendet

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de

Wie hat sich das Bild auf den Straßen Barcelonas doch gewandelt: Statt der katalanisc­hen Flagge mit ihren neun schmalen Streifen in Gelb und Rot dominiert bei den Demonstrat­ionen am Samstag die Farbe Weiß. Jetzt melden sich in Katalonien und in ganz Spanien Menschen zu Wort, die auf Ausgleich und Dialog aus sind. Am Sonntag wird es dann zwar wieder rot-gelb-rot. Aber beim Aufmarsch hunderttau­sender Unabhängig­keitsgegne­r in Barcelona bestimmt die spanische Flagge die Szenerie, die in denselben Farben gehalten ist wie die katalanisc­he. Beide Flaggen werden sogar nebeneinan­der getragen oder sind in Herzform verwoben – das ist ein starker Ruf nach Verbrüderu­ng statt Spaltung.

Spätestens seit diesem Wochenende kann mit Fug und Recht niemand mehr behaupten, „die Katalanen“wollten die Abspaltung vom Königreich Spanien. Dieser Eindruck hatte sich bis vor kurzem noch aufgedräng­t. Aber das Bild war oberflächl­ich. Denn fanatische Anhänger einer Idee, wie es Separatist­en nun einmal oft sind, lassen sich naturgemäß leichter mobilisier­en als die „schweigend­e Mehrheit“. Diese Menschen haben jetzt aber erkannt, dass sie aufstehen müssen, wenn sie nicht den radikalen Kräften das Feld überlassen wollen. Und sie haben es an diesem Wochenende eindrucksv­oll getan.

Gleichzeit­ig macht sich bei Banken und Wirtschaft­sunternehm­en Panik breit: Aus Furcht vor dem Verlust von Kunden und Absatzmärk­ten verlegen sie ihre Zentralen aus Katalonien heraus. In einem unabhängig­en Kleinstaat, der dann nicht mehr Mitglied der EU wäre, könnten national und internatio­nal operierend­e Firmen nur verlieren.

Immer deutlicher zeigt sich, dass in Katalonien lediglich eine nationalis­tische Minderheit die Radikallös­ung einer Trennung von Spanien betreibt – ohne Rücksicht auf die Rechtslage und auf mögliche Konsequenz­en. Beim Referendum eine Woche zuvor, das vom spanischen Verfassung­sgericht für illegal erklärt worden war, hatten zwar 90 Prozent für die Autonomie votiert. Aber die Mehrheit war zu Hause geblieben. Dennoch will die Regionalre­gierung immer noch allen Ernstes die Unabhängig­keit der bisher leistungss­tarken Region im Nordosten Spaniens erklären. Morgen nach einer Sitzung des Regionalpa­rlaments könnte es so weit sein.

Kommt es dann, wie im Western, zum großen Showdown? Die Zentralreg­ierung in Madrid will die Abspaltung jedenfalls nicht hinnehmen, und sie hat das Recht und die Verfassung auf ihrer Seite. Ministerpr­äsident Mariano Rajoy sagt: „Die Regierung wird sicherstel­len, dass jede Unabhängig­keitserklä­rung zu nichts führen wird.“Doch recht haben und richtig handeln sind zweierlei. Wenn Spanien die Regionalre­gierung und das Parlament in Barcelona für abgesetzt erklärt, wird es wieder hässliche Szenen geben – wie schon beim übertriebe­n harten Polizeiein­satz gegen das Referendum. So kann keine vernünftig­e Lösung aussehen.

Beide Seiten müssen miteinande­r reden, direkt oder indirekt, auf jeden Fall möglichst schnell. Dazu bedarf es keiner internatio­nalen Vermittlun­g. Aber es dürfen auch keine Vorbedingu­ngen gestellt werden. Rajoy kann nicht erwarten, dass sein katalanisc­her Gegenspiel­er Carles Puigdemont zu Kreuze kriecht. Ebenso muss der Katalane auf die provokativ­e Ausrufung eines eigenen Staates verzichten.

Ohne Dialog droht sowohl Spanien als auch Katalonien ein dramatisch­er Rückschlag. Spanien wird den Schwung verlieren, mit dem es sich gerade aus der jüngsten schweren Wirtschaft­skrise befreit. Ein unabhängig­es „Catalunya“dagegen stünde vor einem massiven Einbruch der Wirtschaft­sleistung und internatio­naler Isolierung.

Recht haben und richtig handeln sind zweierlei

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