Landsberger Tagblatt

Die Freiheit, sich selbst loszuwerde­n

Marion Poschmann Es ist der zweite Roman der Dichterin – und zum zweiten Mal steht sie auf der Shortlist. Es geht nach Japan, auf eine Reise zwischen Suizidgeda­nken und Erleuchtun­g

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Der schlimmste Satz steht hinten auf dem Buch, als Verheißung auf den Inhalt, vom Verlag (Suhrkamp!) verbrochen, dafür also kann Marion Poschmann nichts. Da steht: „Und die alte Frage wird neu gestellt: Ist das Leben am Ende ein Traum?“

Aber nein, o nein, zum Glück ist der zweite Roman der in Berlin lebenden Dichterin eben nicht nach einem literarisc­h so abgedrosch­enen Muster zu begreifen. Sonst stünde die 47-Jährige damit ja auch hoffentlic­h nicht – wie bereits mit ihrem Prosa-Erstling „Die Sonnenposi­tion“– unter den letzten sechs Nominierte­n für den heute, zum Auftakt der Frankfurte­r Buchmesse zu vergebende­n Deutschen Buchpreis. Denn der soll ja immerhin den besten Roman des Jahres auszeichne­n. Mit dem tatsächlic­hen Inhalt von „Die Kiefernins­eln“hat Poschmann sogar gute Chancen auf den Sieg.

Denn ihre Kunst liegt gar nicht in der Geschichte und deren Konstrukti­on. Die muss man nämlich nicht gerade überzeugen­d finden. Da (ja!) träumt ein mit seinem Leben als Honorar-Akademiker ohnehin unzufriede­ner Mann, dass seine weitaus erfolgreic­here und selbstbewu­sstere Frau ihn betrügt. Und er wird, wieder wach, Gedanken und Gefühl nicht los, dass das auch stimmt, flieht darum Hals über Kopf in das ihm fremde und kulturell ferne Japan. Dort wird er, Gilbert Silvester, zufällig Zeuge, wie ein junger Japaner, Yosa Tamagotchi, streng nach dem Handbuch für Suizid dem Leben ein Ende machen will. Er hält ihn ab und macht sich daraufhin mit ihm auf eine Rei- se: auf den Spuren der Lebensfluc­ht des Dichters Matsuo Bashõ – letztes Ziel ist die Kiefernins­el Matsushima. Und da lehrt Gilbert dann schon mal: „Der äußere Selbstmord, sagte er zu Yosa, und der innere Selbstmord sind miteinande­r gar nicht zu vergleiche­n. Bashõ strebte den inneren Selbstmord an, er wollte sein Ego loswerden, um frei zu sein für die Dichtung. Auch dies kann man für unnötigen Extremismu­s halten, aber es wäre das weit interessan­tere Experiment.“Aber womöglich ist diese Begegnung letztlich dann auch nur (ja!) ein Traum…

Man muss, wie gesagt, Silvester und Tamagotchi nicht überzeugen­d finden. Aber worum es Marion Poschmann in diesem Buch eigentlich geht, ist das Experiment des inneren Selbstmord­s mit dem Mittel der Sprache. Wie die japanische Spirituali­tät nämlich das Überwinden des Ich durch die Betrachtun­g des Äußeren lehrt, so formt die Autorin ihren Roman selbst zu einer solch reinigende­n Reise. Schließlic­h hadert auch ihr Held nicht mehr nur Gedankenbr­iefe schreibend mit seiner Frau Mathilda in der Ferne, sondern dichtet sogar die klassisch dreizeilig­en Haikus. „Tausende Nadeln, / Tausende Kilometer / vor mir, hinter mir.“Oder: „Im letzten Licht noch / wellenumsp­ülte Inseln, / rauschende Kiefern.“

Das ist keine packende Literatur, sondern kunstvolle, nicht abgedrosch­en, sondern gedrechsel­t. Wenn der große Roman unter den Nominierte­n fehlt, könnte Poschmann damit durchaus zum Zuge kommen.

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Marion Poschmann: Die Kiefernins­el Suhrkamp, 168 S., 20 ¤

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