Keine Orte der Angst dulden
Es wäre nur ein kurzer Fußweg für die Bundeskanzlerin, die Minister und die Abgeordneten des Bundestages. Sie könnten sich im Berliner Tiergarten mit eigenen Augen ein Bild vom Elend der Obdachlosen machen und den jungen Flüchtlingen, die sich prostituieren. Sie könnten die Drogenhändler sehen, die Spritzen auf dem Boden. Und die Kerzen, die an eine auf dem Heimweg durch den nächtlichen Park ermordete Frau erinnern. Vielleicht würden sie dann das Gefühl der Unsicherheit, der Bedrohung besser verstehen, das immer mehr Bürger immer öfter befällt – nicht nur in der Hauptstadt.
Natürlich liegt die Schuld zunächst bei den Berliner Behörden. Doch das Abschieben von Verantwortung der jeweiligen politischen Ebenen an andere empfinden die Bürger als spitzfindig. Der Staat als Ganzes ist verpflichtet, rechtsfreie Zonen zu bekämpfen, wo immer sie entstehen. Sonst droht ein nicht zu reparierender Verlust des Vertrauens in die gesamte Politik. Öffentliche Parks sollen Orte der Erholung sein – nicht der Angst. wild, in Zelten und unter Planen. Immer wieder wird von Schwänen berichtet, die dort getötet, gerillt und verspeist werden
Quer durch den Park führt die prächtige Straße des 17. Juni vom Brandenburger Tor zur Siegessäule mit der golden schimmernden Viktoria. Doch in den Büschen um das Monument preußischen Glanzes verkaufen junge Männer ihre Körper, bieten sich für 20 Euro meist älteren Freiern an. Laut Tagesspiegel sind es teils minderjährige Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus.
Auf dem Fußweg zwischen dem „Schleusenkrug“, einem der beliebtesten Biergärten der Stadt, und dem Bahnhof Zoo erinnern Kerzen und Blumen an Susanne F., die dort Anfang September brutal getötet wurde. Gegen 22 Uhr, auf dem Heimweg aus dem Lokal, begegnete die 60-jährige Kunsthistorikerin ihrem Mörder. Erst nach drei Tagen fanden Spaziergänger ihre Leiche im Gebüsch. Als dringend tatverdächtig gilt ein 18-jähriger Tschetschene. Mutmaßliches Mordmotiv: Habgier. Die Beute: 50 Euro und ein Handy. Seit dem Mord meiden noch mehr Menschen den Tiergarten – nicht nur nachts.
Der drastische Hilferuf des Bezirksbürgermeisters von Mitte hat die Debatte um die öffentliche Sicherheit nun neu angefeuert. Erste Konsequenzen gibt es bereits. Der Senat beschloss, dass ab heute mehr Polizisten im Tiergarten Streife gehen sollen.