Bei den Schiedsrichtern brodelt es
Das Bild vom Fußball-Schiedsrichter ist das eines Bedauernswerten, der mit einem Pfeifchen bewaffnet gegen eine Übermacht aufgebrachter Spieler seine Entscheidungen und mitunter auch seine körperliche Unversehrtheit verteidigen muss. Der Videoassistent, der ihm dabei helfen soll, macht die Arbeit nicht einfacher. Die Feinde des Schiedsrichters bleiben dieselben und sind nicht weniger geworden. Andererseits weiß der Unparteiische, wo sie stehen. In den Vereinen, unter den Fans auf den Rängen und in den Fernsehsesseln.
Derartiger Druck von außen schmiedet die Bedrängten zusammen. Sie bauen eine Wagenburg, in der eine Mentalität gleichen Namens gedeiht und die nach eigenen Regeln funktioniert. Das geht so lange gut, bis ein Freigeist sich gegen die Enge, das Undurchsichtige und den Korpsgeist erhebt. Dann steht der Feind plötzlich im Innern der Burg. So wie jetzt Manuel Gräfe. Der angesehene Bundesliga-Referee hat die Führung der Schiedsrichter um Herbert Fandel und Hellmut Krug in jener Offenheit kritisiert, die er selbst für Entscheidungsprozesse im Schiedsrichterwesen einfordert.
Er klagt fehlende Transparenz und Vetternwirtschaft bei der Auswahl und Nominierung der Unparteiischen an. Was so viel heißt wie: Nicht die Besten pfeifen, sondern die Strippenzieher und Duckmäuser, die den Mächtigen hinterherkriechen. Oder ist alles ganz anders? Ist Manuel Gräfe ein Unruhestifter, der mit seiner Anklage persönlichen Motiven folgt? Wohl kaum. Der 44-jährige Sportwissenschaftler fiel schon immer als einer auf, der über das Rasenviereck hinausgeblickt hat, dem das Schiedsrichterwesen auch jenseits der Karriere am Herzen lag.
Was Gräfe inzwischen nicht mehr allein anklagt, ist jenes undurchsichtige System der Bewertung und Beförderung das bis vor kurzem noch für Verunsicherung und Missgunst unter den Schiedsrichtern gesorgt hat. Es hat lange Zeit auf vielen Wegen den Aufstieg von Bibiana Steinhaus zur ersten Frau in der Männerriege der BundesligaSchiedsrichter verhindert. Mit dieser Saison ist das alte Notensystem zwar verschwunden und durch eine differenzierte Leistungsbetrachtung ersetzt worden, aber Fandel und Krug, die Köpfe des alten Systems, sind noch immer am Werk. So lange sich daran nichts ändert, wird Gräfe keine Ruhe geben. Der Machtkampf im Innern der
Burg geht also in die Verlängerung.