War das der Durchbruch?
Tennis Grigor Dimitrow hat die ATP-Finals gewonnen. Die einen mäkeln, dass er dazu weder Roger Federer noch Rafael Nadal schlagen musste. Die anderen sagen ihm eine große Zukunft voraus
London Wenn in den vergangenen Jahren der Name Grigor Dimitrow im Welttennis fiel, dann war das meist mit Scheitern verbunden. Mit unnötigen Niederlagen, ungestillten Hoffnungen und einem Etikett, das ihm als Last aufgeklebt war: BabyFederer. Dimitrow wirkte zwar wie eine jüngere Ausgabe des Schweizer Maestros, er ist ein Ästhet am Ball, geschmeidig, elegant, kunstvoll. Doch nie hatte er bisher den Biss, die Power, die Professionalität von Federer. So folgte Dimitrow der Ruf des „Underperformers“auf Schritt und Tritt. Der Ruf eines Mannes, der wenig bis nichts aus seinem Potenzial machte. Und der in den ganz großen Schlagzeilen gewissermaßen nur als Akteur mit der besten Nebenrolle auftauchte, einst als Lebensgefährte von Superstar Maria Scharapowa und zuletzt von Sängerin Nicole Scherzinger.
Aber nun hatte dieser Dimitrow das letzte machtvolle Wort der Tennis-Serie 2017 – bei der Londoner Weltmeisterschaft der Berufsspieler. „Mir fehlen gerade die Worte. Was sonst nur selten passiert“, sagte Dimitrow, als er sich mit einem 7:5, 4:6, 6:3-Sieg über den Belgier David Goffin zum Champion beim wichtigsten Turnier neben den vier Grand Slams gekürt hatte. Der Triumph führte auch zu einer interessanten Momentaufnahme in der Tennis-Hackordnung: Denn dort hat sich Dimitrow jetzt bis auf Platz drei aufgeschwungen, gleich hinter den Granden Rafael Nadal und Roger Federer. Und vor dem Deutschen Alexander Zverev.
Oft hatte Dimitrow die Gunst des Augenblicks nicht nutzen können. Doch bei diesem sehr erstaunlichen WM-Turnier behielt er in den Wettkampf-Turbulenzen klaren Kopf und stieß auch in das Vakuum hinein, das durch Formschwäche mancher Akteure, die Abwesenheit einiger Topleute und auch eine gewisse Ermattung bei Supermann Federer entstanden war.
Dimitrow war indes keineswegs ausschließlich der Profiteur oder Günstling der anderen, sondern auch mit Spitzenvorstellungen ein selbstbestimmter Gewinner. Als es darauf ankam, auch im Endspiel, überwand er flatterhafte Augenblicke und ging mit einem energischen Schlussspurt als Erster über die Ziellinie. Dass er auf dem Weg zum Titel weder Nadal noch Federer besiegen musste, wurde ihm gleich wieder als Makel angelastet. Es war ein unsinniger Einwurf, wenn man die hohe Qualität dieses würdigen Finales betrachtete.
Die große Frage, die sich jetzt für und um Dimitrow stellt, ist simpel: War dieser Sieg in London ein Durchbruch? Oder war das alles nur ein Einmal-Effekt?
Dimitrow scheint nach Jahren der nicht immer übermäßig ausgeprägten Ernsthaftigkeit nun doch eine seriösere Einstellung zu seinem Beruf gefunden zu haben. Eine Mentalität, die es ihm erlaubt, die dringend nötige Konstanz auf allerhöchstem Niveau zu zeigen. „Nichts ist motivierender und beflügelnder als der große Erfolg. Als ein Titel wie dieser in London“, sagte der Bulgare am Sonntagabend.
Hinzu kommt: Mit seinen 26 Jahren hat Dimitrow in einem Tourgeschäft, in dem sich die Karrierehorizonte dramatisch verändert haben, die besten Jahre noch vor sich. Man kann Dimitrows Situation gut mit der des anderen Schweizer Welt- klasseprofis Stan Wawrinka vergleichen: Jahrelang war er der Schattenmann Federers. Bis er mit 28 Jahren seinen ersten Grand-Slam-Titel gewann und diesem Erstlingswerk noch zwei weitere Major-Pokalsiege hinzufügte. „Ich bin sicher, dass ich noch viele gute Jahre vor mir habe“, befand Dimitrow dann auch in der Stunde des Londoner Erfolgs.
Er wird jedenfalls auch zu denen gehören, die im mittleren Alter ihrer Karriere stehen und den Vormarsch der Next-Gen-Spieler um Zverev einbremsen wollen. Viele im Tennis hatten zuletzt vorhergesagt, die Nachfolger für den 36-jährigen Federer und all die anderen Ü30-Größen wie Djokovic, Murray, Nadal oder Wawrinka kämen aus der Gruppe der Anfangs-Zwanziger. Dimitrow zählte in dieser Theorie zur verlorenen Generation, zu den Möchtegern-Champions.
Das Tennisjahr 2017, ohnehin eine Fortsetzungsgeschichte der Verblüffungen, könnte auch diese Denkspiele über den Haufen geworfen haben. Mit Dimitrow muss ab jetzt auch dann gerechnet werden, wenn es um die kostbarsten Trophäen im Welttennis geht.