Jamaika ist gescheitert – und jetzt?
Weil die FDP die Koalition mit Union und Grünen platzen lässt, steht das Land vor ungewissen Zeiten. Ob es bald Neuwahlen gibt, ist offen. Die Kanzlerin will jedenfalls weitermachen. Warum es jetzt auf den Bundespräsidenten ankommt
Jamaika ist gescheitert und Deutschland fragt sich, wie es jetzt weitergeht. Nachdem die Verhandlungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen in der Nacht zum Montag geplatzt waren, droht dem Land eine politische Krise. Jetzt mischt sich auch der Bundespräsident ein. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn er sie in den Händen hält“, sagt Frank-Walter Steinmeier. Hintergrund: Nachdem die SPD schon am Wahlabend verkündet hat, dass sie nicht mehr mit der Union koalieren will, hat sich jetzt auch die FDP aus dem Ringen um eine stabile Regierung verabschiedet. Der Bundespräsident spielt nun eine Schlüsselrolle: Er könnte den Bundestag auflösen und Neuwahlen herbeiführen. Ob es tatsächlich dazu kommt, ist aber keineswegs sicher.
Angela Merkel steckt in ihrer tiefsten Krise. Sie trat zuletzt in erster Linie als Moderatorin auf und wollte zum Schluss „die Enden zusammenbinden“. Doch dazu kam es nicht. Die AfD fordert Merkel zum Rücktritt auf. Doch die Kanzlerin denkt gar nicht daran. Ganz im Gegenteil: Wenn es Neuwahlen geben sollte, will sie wieder antreten. Auch Horst Seehofer gehört zu den großen Verlierern. Er war auf einen Erfolg von Jamaika angewiesen und hätte dafür weitgehende Kompromisse in Kauf genommen. Nun kehrt der CSU-Chef mit leeren Händen zurück nach Bayern.
Am Tag nach dem Scheitern ging es bereits um die Frage der Schuld. Union und Grüne werfen den Liberalen vor, eine mögliche Koalition ohne Not aufgegeben zu haben. Entwicklungsminister Gerd Müller vermutet hinter der überraschenden Aktion der Liberalen Kalkül. „Sachlich gab es aus unserer Sicht dazu keinen Anlass. Also war es wohl so gewollt und geplant“, sagt der Allgäuer CSU-Politiker im Interview mit unserer Zeitung. „Schon Minuten nach dem Auszug der FDP kursierten ausgefeilte Erklärungen im Internet“, erzählt Müller. Überschrieben waren sie mit den Worten: „Lieber nicht regieren als falsch.“ Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl, der als einziger aktiver Kommunalpolitiker an der Sondierung teilgenommen hatte, kann damit wenig anfangen. „Das würde ja bedeuten, lieber Chaos zu riskieren, als Verantwortung zu übernehmen und Kompromisse einzugehen“, sagt der CSU-Politiker.
Während Union und Grüne unisono betonen, eine Lösung sei zum Greifen nah gewesen, verteidigt FDP-Chef Christian Lindner seinen umstrittenen Kurs: „Es gab nicht den gemeinsamen Weg, es gab nicht das Vertrauen der Akteure insge- samt.“Lindner, der die Liberalen nach dem Wahldebakel 2013 zurück in den Bundestag geführt hat, ließ im Laufe der Sondierungen immer wieder durchblicken, dass ihn die Vorstellung, mit Grünen und Union zu koalieren, nicht gerade begeistert. Schon früh betonte er, die FDP habe keine Angst vor Neuwahlen.
Noch ist es nicht so weit. Möglicherweise kommt nach Steinmeiers Appell auch die SPD noch einmal ins Spiel. Der Bundespräsident will nun mit allen Parteien sprechen, die für eine Koalition infrage kommen. Doch SPD-Chef Martin Schulz betont, man stehe für ein Bündnis mit der Union nicht mehr zur Verfügung. „Wir halten Neuwahlen für den richtigen Weg“, sagt der gescheiterte Kanzlerkandidat.
„Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn er sie in den Händen hält.“
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier