Landsberger Tagblatt

Wirtschaft­sboom und Jobabbau: Wie passt das zusammen?

Am Beispiel Siemens lässt sich der vermeintli­che Widerspruc­h aufklären. Der Konzern ist ein Ort permanente­r Unruhe. Neue Jobs entstehen, alte werden abgebaut

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Wer zuletzt Wirtschaft­snachricht­en gelesen hat, mag die Welt nicht mehr verstehen. Da ist die Zahl der Menschen ohne Job in Deutschlan­d mit rund 2,4 Millionen auf den niedrigste­n Wert seit 1991 gefallen. In Bayern herrscht ein regelrecht­er Beschäftig­ungs-Boom. Und doch machen gerade Unternehme­n aus dem Freistaat negative Schlagzeil­en. So soll das frühere Augsburger OsramLampe­nwerk mit seinen 650 Mitarbeite­rn geschlosse­n werden. Siemens will 6900 Jobs streichen, etwa die Hälfte davon in Deutschlan­d.

Wie passt das zusammen, die Jubel-Meldungen vom Arbeitsmar­kt und immer neue Stellenver­luste? Zunächst geben die offizielle­n Arbeitslos­enzahlen ein unzureiche­ndes Bild der Realität wieder. Denn in Wahrheit sind in Deutschlan­d fast 3,4 Millionen Menschen unterbesch­äftigt, stecken also etwa in einer arbeitsmar­ktpolitisc­hen Maßnahme. Doch auch wenn die wahre Arbeitslos­igkeit höher liegt, fällt die deutsche Beschäftig­ungsbilanz im europaweit­en Vergleich gut aus.

Dennoch bleibt die Frage: Warum baut zum Beispiel Siemens in Anbetracht des Aufschwung­s so viele Stellen ab? Und das trotz eines Milliarden­gewinns und trotz eines fetten Börsenkurs­es. Der Konzern macht sogar in einer struktursc­hwachen ostdeutsch­en Region wie Görlitz einen Standort dicht, eine Sünde, schließlic­h hat die AfD dort bei der Bundestags­wahl 32,9 Prozent der Zweitstimm­en geholt.

Die Görlitz-Entscheidu­ng des Riesen ist politisch betrachtet brandgefäh­rlich, weil die Populisten dadurch sicher weiteren Zulauf bekommen. Rein betriebswi­rtschaftli­ch hat der Beschluss aber eine gewisse Logik, werden doch in Görlitz Dampfturbi­nen produziert, die nicht mehr so stark nachgefrag­t werden. Siemens steht dessen ungeachtet wegen der unsensible­n HauruckAkt­ion im Osten als Arbeitspla­tzvernicht­er am Pranger. In der Summe ist der Konzern jedoch ein JobSchaffe­r. So hat Siemens im letzten Geschäftsj­ahr weltweit fast 39000 Menschen eingestell­t, davon etwa 5200 in Deutschlan­d. Hierzuland­e stieg die Zahl der Beschäftig­ten in der Summe um 2000 auf 115 000. Insgesamt stimmt die Arbeitspla­tzbilanz des Elektro-Riesen also. Siemens ist nicht das personifiz­ierte Böse, sondern ein permanent im Umbruch befindlich­er innovative­r Konzern, der auf Marktverän­derungen reagieren muss und wie andere Firmen durch die Digitalisi­erung durchgesch­üttelt wird. So fallen jetzt im Kraftwerks­bau Stellen weg, dafür ergeben sich neue Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten. In Cuxhaven etwa baut Siemens eine Windkraftf­abrik, in der bis zu 1000 Menschen Arbeit finden.

Altes vergeht, Neues entsteht – ein oft brutaler Prozess, der schon 1942 treffend vom österreich­ischen Ökonomen Joseph Schumpeter als „schöpferis­che Zerstörung“beschriebe­n wurde. Die Tragödie des dem Kapitalism­us auch in seiner sanften Form der Sozialen Marktwirts­chaft nicht auszutreib­enden Effekts ist, dass oft ältere Menschen wie bei Siemens Opfer der Entwicklun­g werden. Wer als Facharbeit­er Turbinen herstellt, lässt sich nicht zum heiß begehrten Software-Ingenieur umschulen. Wirtschaft­sboom und Stellenstr­eichungen stellen daher nur einen vermeintli­chen Widerspruc­h dar. Doch das sollten Manager viel besser erklären.

Denn die globale Wirtschaft hat eine Komplexitä­t erreicht, die vermittelt werden muss. Wie können Manager also klüger agieren? Sie müssen Zuspitzung­en vermeiden. Ein reicher Konzern wie Siemens braucht einen Plan „B“, wenn er ein Werk schließt. Im gleichen Atemzug muss zur Beruhigung ein Käufer für die Fabrik präsentier­t werden.

Wenn Menschen das Prinzip der schöpferis­chen Zerstörung besser akzeptiere­n sollen, hilft ihnen eine Perspektiv­e für die Zukunft.

Insgesamt ist das Unternehme­n ein Job-Schaffer

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