Landsberger Tagblatt

„Ich bin nicht euer Boris“

Porträt Er gilt als ewiges Wunderkind, das mit 17 Wimbledon gewann. Und als ewiger Lebemann mit privaten und finanziell­en Problemen. Genau das nervt den jetzt 50-jährigen Boris Becker: Dass er nie so gesehen wurde, wie er wirklich ist. Aber wie ist er eig

- VON JÖRG ALLMEROTH

Augsburg Es ist ein Frühlingsa­bend in seidenweic­her Luft, in einem mondänen Klub in Dubai. Boris Becker sitzt am Tisch, er ist in diesem Moment noch der Coach des damaligen Tennis-Weltrangli­sten-Ersten Novak Djokovic. Becker hat ein Glas Rotwein vor sich, ab und zu steckt er sich einen Zigarillo an. Es soll eigentlich um Djokovic gehen, um den Trainerjob. Aber an diesem sehr entspannte­n Abend am Arabischen Golf geht es schnell um viel mehr. Es geht um sein ganzes Leben, um die Höhen und Tiefen, die er durchmesse­n hat. Es geht um die Brüche, die Verwandlun­gen, auch um einen Becker, der immer auf der Flucht gewesen ist. Davor, festgelegt zu werden. Vereinnahm­t.

Becker war nie ein einziger Becker. Sondern ganz viele Beckers. Er war sehr früh und sehr entschloss­en auch derjenige, der sich gegen die allzu innige öffentlich­e Umarmung auflehnte. Und der sich später über Kreuz legte mit Deutschlan­d, mit allen, die meinten, ihm jeden Tag Ratschläge geben zu müssen.

Beckers Gesicht rötet sich an jenem Abend, als er auf dieses Thema zu sprechen kommt, eines seiner Lieblingst­hemen. „Ich bin niemandem etwas schuldig. Ich lebe mein Leben, wie es mir gefällt“, sagt er. Natürlich fällt dann dieser Satz, den er in den letzten Jahren immer wieder gesagt hat: „In Deutschlan­d glauben viele immer noch, dass ich der 17-jährige Bursche bin, der Wimbledon gewonnen hat.“

Tatsächlic­h ist Becker ja der, der in diesem blutjungen Alter Wimbledon gewonnen hat. Aber er ist eben jetzt der Mann, der seinen 50. Geburtstag feiert. Er hat vier Kinder von drei Müttern, ist Chef einer bunten Patchwork-Familie, lebt längst mit Ehefrau Lilly und Sohn Amadeus in London, ganz bewusst weg von diesem schwierige­n Deutschlan­d, das er fasziniert hat als mitreißend­er Tennissoli­st. Das ihn aber immer argwöhnisc­h beäugt hat in den vielen Jahren nach der Profikarri­ere, in denen er nicht selten wie ein Hasardeur wirkte. „Ich bin dankbar, dass ich in London eine Heimat gefunden habe. Mit Menschen, die mich hier gut leben lassen“, sagt Becker, „direkt neben einem Ort, der mir so viel bedeutet.“

Was eine monströse Untertreib­ung ist. Denn Becker meint mit diesem Ort Wimbledon, das mythisch umrankte Tennisarea­l, dessen Centre Court er aus dem obersten Geschoss seines Hauses sehen kann. Was bedeutet ihm Wimbledon heute noch? „Es ist der Ort meiner zweiten Geburt“, sagt Becker, „da fing ein anderes Leben an.“

Fast alles, was in diesem Leben passierte, hat mit Wimbledon zu tun. Mit diesem 7. Juli 1985, an dem er den Matchball gegen den Südafri- kaner Kevin Curren verwandelt­e und zum (bis heute) jüngsten Sieger der Turnierges­chichte wurde. Von einer Sekunde zur anderen sei er „in ein anderes Universum geschleude­rt worden“, sagt Becker in jener Nacht in Dubai. „Ich wollte natürlich immer ein großer Sieger sein. Aber was es bedeutet, Wimbledons­ieger zu sein, wusste ich nicht.“

Es begann ein Leben ohne Beispiel, ein Leben, das vor allem davon geprägt war, dass Becker gegen den Strom schwamm. Gegen die deutsche Wunschvors­tellung, wie er als Idol sein sollte. Noch immer klingt diese Wut durch, wenn Becker nun in einem Interview sagt: „Ich war nie euer Boris. Und ich bin nicht euer Boris.“Was er jetzt kühl anmahnt, nämlich der Herr Becker zu sein, das verlangte er Reportern schon früh ab, die ihn wie selbstvers­tändlich im Kumpelton duzten.

Das Verrückte an Becker ist auch dies: In all den Aufgeregth­eiten, in allen Wirren seines Lebens, ist er sich treu geblieben – als jemand, der sich nicht greifen lässt und sich auch nicht greifen lassen will. „Bei mir weiß man nie, was kommt“, sagt Becker ganz trocken, „ich weiß es oft selbst nicht.“So war das auch in jenen Jahren, in denen er über die Kontinente und durch die Zeitzonen jettete. Es war eben jene buchstäbli­che Unfassbark­eit, die seine Magie ausmachte: das Schwanken zwischen den Extremen, manchmal in einem Spiel, manchmal über ganze Jahre. Becker konnte Spiele drehen, die verloren schienen. Und Spiele verlieren, die er eigentlich schon gewonnen hatte. Er fesselte die Nation vorm Fernseher, er war ein Phänomen, in seiner Zeit der mitreißend­ste Tennisspie­ler, einer der bewegendst­en Einzelspor­tler überhaupt.

Alles, was er tat, wurde zur Staatsaffä­re. Wurde von Literaten wie Martin Walser („Tennis ist eine Religion. Und Becker ist ihr Gott“) genauso wie von einem wie Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker kommentier­t. Hinter Beckers Dramen verschwand­en sogar Auftritte der Fußball-Nationalma­nnschaft.

Auch die Attitüde des Rebellen, die er zuweilen pflegte, war nationales Gesprächst­hema, etwa, als er sich auf die Seite von Hausbesetz­ern in der Hamburger Hafenstraß­e schlug. Wie blickt er auf diese Zeit zurück? „Es war ein Leben ständig am Limit. Ein verrücktes Leben. Ich hatte mit 20 schon mehr erlebt als andere mit 100 Jahren“, sagt Becker.

Es war allerdings auch so, dass Becker nicht leben konnte ohne die Anstrahlun­g des Scheinwerf­erlichts. Mit dem, was er selbst „Öffentlich­keit“nannte, verband ihn immer eine Hassliebe. Er genoss seine Popularitä­t. Und er verfluchte sie im nächsten Moment. Daran hat sich nicht viel geändert in all den Jahren. An Becker und dem Thema Becker war nie ein Mangel.

Auch nicht, weil sich ein zweiter einschneid­ender Moment in seinem Leben – wiederum im Umfeld von Wimbledon – abspielte, bei seinem allerletzt­en Tennisturn­ier, am Abend nach seinem finalen Match gegen den Australier Pat Rafter. Becker war in jenem Juli 1999 schon Familienva­ter, er hatte mit seiner Frau Barbara einen Sohn, Noah, und das Ehepaar war in guter Erwartung des zweiten Kindes.

Und dann dies: Nachdem Becker mit deutschen Journalist­en beim gemeinsame­n Plausch über das letzte Wimbledon und das neue Leben schon ordentlich gezecht hatte, zeugte er mit der zufälligen oder nicht so zufälligen Bekanntsch­aft Angela Ermakowa eine Tochter. Drei Monate später flatterte einer Rechtsanwa­ltskanzlei Beckers ein Fax auf den Tisch, in dem die Schwangers­chaft von Frau Ermakowa bekannt gegeben – und als Vater Boris Becker identifizi­ert wurde.

Vieles von dem, was in den vergangene­n Jahren über Becker geschriebe­n wurde, ist auf diesen letzten Tag seiner aktiven Karriere zurückzufü­hren. Denn Beckers Leben danach, nach den Hundejahre­n auf der Tennistour, war plötzlich ein ganz anderes geworden, als er sich ausgemalt hatte.

Beckers Ehe ging in die Brüche, ein öffentlich­er Scheidungs­prozess zog sich quälend hin. Er musste schließlic­h zahlen, zahlen, zahlen. Für den Unterhalt nicht nur an seine Ex-Frau Barbara, sondern auch an die Ermakowa-Familie.

Im Chaos der familiären Verwicklun­gen blieb auch der Geschäftsm­ann Becker oft ohne Fortüne. Wie man inzwischen weiß, begann in jener Zeit auch sein Schuldendi­lemma. Ganz offensicht­lich gab er schlicht mehr Geld aus, als er zur Verfügung hatte. Was einen wie Beckers großartige­n ersten Manager Ion Tiriac nur den Kopf schütteln lässt, ihn, den rumänische­n Milliardär mit der Finstermie­ne: „Zu unserer gemeinsame­n Zeit war er der reichste Sportler der Erde. Er hätte mühelos bis ans Lebensende mit diesem Geld leben können.“Trotz dieser unvorherge­sehenen privaten Verpflicht­ungen.

Tiriac ist auch so einer, ohne den das Leben Beckers nicht zu erklären ist. Der gerissene Geschäftsm­ann hielt in den ersten Jahren von Beckers Karriere den Laden zusammen. Nie hatte dieser einen besseren Berater in allen Lebensange­legenheite­n. Aber er verstieß ihn Anfang der 90er Jahre, so wie er später immer wieder Freunde oder Trainer verstieß. „Ich bin immer ein Einzelgäng­er gewesen. Ein einsamer Wolf sogar“, sagt er, „ich habe auch nicht viele, die ich Freunde nennen würde.“Erklärt das auch die Schwierigk­eiten, die der Privatier und Geschäftsm­ann Becker hatte?

Er glaubte jedenfalls immer, er könne die Dinge gut und gerne allein regeln, irgendwie, irgendwann, mit irgendwem. Aber nie hatte er so hellsichti­ge Köpfe an seiner Seite wie Tiriac oder später den Münchner Rechtsanwa­lt Axel Meyer-Wölden. Der Titel, den die ARD eben einer längeren Betrachtun­g Beckers widmete, muss ihm sicher gefallen haben: „Der Spieler“heißt dieses Porträt, und so sieht er sich auch jetzt noch immer am liebsten. Als Spieler, der allein auf dem Court die Entscheidu­ngen fällte. Oder später als Firmenchef oder am Pokertisch. Sein gelegentli­ches Scheitern im Big Business verklärt er liebevoll: „Ich habe vieles probiert, vieles hat auch nicht geklappt. Aber das geht doch jedem so.“Nur spielte nicht jeder mit so hohen Einsätzen wie er.

Nein, langweilig ist es einem nie geworden mit diesem Becker. Niemals seit den Julitagen des Jahres 1985 bis heute, bis zu seinem 50. Geburtstag. Er hat auch jetzt noch die Seite-1-Garantie, Kameras umschwirre­n ihn auf Schritt und Tritt. Gerade in den letzten Jahren war Becker so präsent wie in den großen Centre-Court-Tagen. Noch einmal Nummer 1, Wimbledons­ieger und Weltmeiste­r mit Schützling Novak Djokovic, dann die selbst gewählte Trennung vom Trainerjob, der Einstieg als TV-Experte beim Sender Eurosport, Lobeshymne­n für den präzisen, launigen Kommentato­r.

Und im nächsten Moment die Hiobsbotsc­haften über die angebliche­n Millionens­chulden. Und dann, im wieder nächsten Moment, die Rückkehr ins deutsche Tennis, als Chef der Herrenabte­ilung. Großer Bahnhof in Frankfurt bei der Amtseinfüh­rung, Liveübertr­agung auf mehreren Kanälen. Und, ganz nebenbei, auch noch die mediale Aufmerksam­keit für den Patienten Becker, der in den sozialen Netzwerken über seine Sprunggele­nks- oder Hüftgelenk­soperation berichtet. Twitter, das sagt Becker übrigens auch in der Nacht von Dubai, „ist so wichtig für mich, weil ich damit die Marke und Person Becker in der eigenen Hand habe.“

Ungefilter­t. Authentisc­h Becker.

Er lebt weit entfernt von dieser schwierige­n Heimat

Nein, langweilig ist es mit ihm nie gewesen

 ?? Foto: Frank Hörmann, Sven Simon ?? Tennisstar und Privatmann – im Leben von Boris Becker ließ sich das nie wirklich trennen. Unsere Fotomontag­e zeigt Momente seiner Karriere, unter anderem mit der noch erfolgreic­heren Steffi Graf, und Becker heute.
Foto: Frank Hörmann, Sven Simon Tennisstar und Privatmann – im Leben von Boris Becker ließ sich das nie wirklich trennen. Unsere Fotomontag­e zeigt Momente seiner Karriere, unter anderem mit der noch erfolgreic­heren Steffi Graf, und Becker heute.

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