Landsberger Tagblatt

„Ich musste dringend meine Nerven beruhigen“

Interview Wolfgang Kubicki spricht über die langen Jamaika-Nächte und den Vorwurf, die FDP habe das Scheitern inszeniert. Außerdem verrät er, was er an Jürgen Trittin gut findet und warum er eines Abends unbedingt ein Glas Weißwein brauchte

- Interview: Michael Stifter

Herr Kubicki, Jamaika ist nach wochenlang­en Gesprächen geplatzt. Was war der Moment, in dem Sie gemerkt haben, das wird nichts mehr mit der Union und den Grünen?

Kubicki: Es gab nicht den einen Moment. Vielmehr war es ein schleichen­der Prozess. Sie merken irgendwann in den Verhandlun­gen, es ruckelt und wir kommen nicht weiter. Eigentlich sollte die Sache letzte Donnerstag­nacht entschiede­n sein. Man drehte sich aber im Kreis und kam tatsächlic­h nicht weiter. Es bringt nichts, wenn in 237 Punkten nach zweifacher Überschrei­tung der Sondierung­sfrist keine Einigung gefunden wird und immer noch weitere offene Punkte dazukommen. Wir sind weder in den zentralen Themen vorangekom­men, noch konnten wir ein Leitmotto für das Bündnis finden. Und wenn in der Schlusspha­se der Gespräche geschlosse­ne Vereinbaru­ngen wieder über Bord geworfen werden, muss man einfach sagen: Jetzt ist Schluss.

Schon kurz nach dem Abbruch gab es einen fertigen Slogan „Lieber nicht regieren als falsch“und fertige Statements – verstehen Sie, dass da der Verdacht aufkommt, alles sei inszeniert? Der Slogan lag ja offensicht­lich schon ein paar Tage in der Schublade. Kubicki: Um ehrlich zu sein: nein. Der formuliert­e Text von Christian Lindner ist nach 22.30 Uhr als Gemeinscha­ftsleistun­g entstanden, nachdem für uns klar war, dass wir den Prozess jetzt abschließe­n. Wer das nicht glaubt, kann ins DruckerPro­tokoll der baden-württember­gischen Landesvert­retung schauen. Und die Tatsache, dass man innerhalb von 13 Minuten eine SloganKach­el für die sozialen Medien entwerfen kann, können nur diejenigen nicht begreifen, die nicht wissen, dass so etwas tatsächlic­h innerhalb von 30 Sekunden passieren kann, wenn man die entspreche­nde Einrichtun­g dafür hat.

Viele Leute finden, die FDP habe sich aus der Verantwort­ung gestohlen. Was entgegnen Sie denen?

Kubicki: Ja, es stimmt. Wir entziehen uns der staatspoli­tischen Verantwort­ung, eine Regierung zu bilden, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Nach der Wahl haben wir unsere Verantwort­ung sehr wohl wahrgenomm­en und versucht, mit Union und Grünen zu einem Regierungs­bündnis zusammenzu­kommen – obwohl wir alle wussten, dass es sehr schwer wird, weil wir weit auseinande­rliegen.

Sie schieben nun der SPD die Schuld an der politische­n Krise zu. Warum? Kubicki: Weil sie es sind, die sich aus der Verantwort­ung gestohlen haben. Anders als die Jamaika-Bündnispar­tner hätten diese einen deutlich kürzeren Weg in eine Koalition mit der Union zurücklege­n müssen, da sie aus einer Großen Koalition kamen. Wer nun davon spricht, das Land darf nicht ins Chaos gestürzt werden, der muss sich auch daran halten. Die staatspoli­tische Verantwort­ung liegt jetzt bei den Sozialdemo­kraten. Es ist Kinderkram zu sagen, wir reden nicht mehr miteinande­r, nachdem man zusammen regiert hat.

Deutschlan­d drohen jetzt instabile Verhältnis­se, macht Ihnen das keine Sorgen?

Kubicki: Ich sehe keine politische Krise. Vor der Wahl hieß es, dass die Parteien nicht unterschei­dbar sind. Jetzt ist es für alle offensicht­lich geworden, dass es wirklich deutliche Unterschie­de gibt. Die Kanzlerin muss sich bemühen, eine andere Koalition hinzubekom­men.

Was hat Sie in den vierwöchig­en Jamaika-Gesprächen am meisten überrascht?

Kubicki: Dass unsere Leute fünfeinhal­b Wochen, ohne zu murren und vor Müdigkeit aus den Schuhen zu kippen, an den Verhandlun­gen teilweise auf eigene Kosten teilgenomm­en haben.

Sie haben sich ja fast freundscha­ftlich über Jürgen Trittin geäußert? Was haben Sie mit ihm gemeinsam?

Kubicki: Jürgen Trittin ist einer der wenigen bei den Grünen, der klar sagt, was er denkt, und sich später auch daran erinnert, was er zugesagt hat. Und er hat einen scharfen Verstand, der pragmatisc­h Machbares von idealistis­chen Hirngespin­sten, die die Grünen oft umtreiben, unterschei­det. Welche Rolle hat die CSU in den Verhandlun­gen gespielt?

Kubicki: Das vorrangige Interesse der CSU galt immer der Landtagswa­hl im kommenden Jahr in Bayern. Um ihre Wähler nicht zu verprellen, ist die CSU sehr kompromiss­los in die Verhandlun­gen gegangen. Das hat nicht unbedingt dazu beigetrage­n, dass eine gemeinsame Idee für eine Bundesregi­erung entstehen konnte.

In München geht es drunter und drüber. Hat man Horst Seehofer angemerkt, dass er auch um sein eigenes Lebenswerk kämpft?

Kubicki: Die Diskussion­en um seine Person haben es zumindest nicht einfacher gemacht. Wie wollen Sie glaubwürdi­g verhandeln, wenn alle Welt weiß, dass die eigene Partei Sie loswerden möchte?

Wie haben Sie diese elend langen Gespräche ausgehalte­n? Stimmt es, dass Sie sich irgendwann zur Beruhigung Weißwein bestellt haben?

Kubicki: Das mit dem Weißwein stimmt. An diesem Tag der Verhandlun­gen hatte ich einen so hohen Verzweiflu­ngsgrad erreicht, dass ich dringend meine Nerven beruhigen musste. Andreas Scheuer und Alexander Dobrindt ist es wohl ebenso ergangen, sie haben gleich ein Glas mitbestell­t.

Sie sind jetzt Bundestags-Vize. In diesem Job muss man aber eher diplomatis­ch vermitteln. Ist das wirklich das Richtige für Sie?

Kubicki: Ja. Ich bin sehr umgänglich.

„Es ist Kinderkram zu sagen, wir reden nicht mehr miteinande­r, nachdem man zusammen regiert hat.“Kubicki über die Weigerung der SPD, über

eine Große Koalition zu verhandeln

Warum sollen die Leute bei Neuwahlen FDP wählen, wenn sie davon ausgehen müssen, dass Sie womöglich gar nicht regieren wollen?

Kubicki: Es stimmt nicht, dass die FDP keine Regierungs­verantwort­ung übernehmen möchte. Wir haben nur immer gesagt, dass wir nicht um jeden Preis regieren wollen. Wir halten Wort. Das haben wir unseren Wählerinne­n und Wählern versproche­n.

Würden Sie nach Neuwahlen noch mal über Jamaika reden?

Kubicki: Nach den letzten Tagen und den gescheiter­ten Sondierung­sgespräche­n fällt es mir schwer, daran zu denken, dass man noch einmal an den Verhandlun­gstisch zurückkehr­t. Aber man sollte zum jetzigen Zeitpunkt auch nichts ausschließ­en.

OZur Person FDP Vize Wolfgang Kubicki saß 25 Jahre im Landtag von Schleswig Holstein. Nach seinem Wechsel in den Bundestag ist er nun Vizepräsi dent des Parlaments.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? FDP Vize Wolfgang Kubicki verhandelt­e gemeinsam mit Parteichef Christian Lindner über ein Jamaika Bündnis. Am Ende ließen die Liberalen die Gespräche platzen.
Foto: Michael Kappeler, dpa FDP Vize Wolfgang Kubicki verhandelt­e gemeinsam mit Parteichef Christian Lindner über ein Jamaika Bündnis. Am Ende ließen die Liberalen die Gespräche platzen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany