Landsberger Tagblatt

Diese Krise ist auch ihre Krise

Mag sein, dass Angela Merkel sich noch einmal in eine Minderheit­sregierung oder in eine neue Koalition rettet. Die Erosion ihrer Macht aber hat bereits begonnen. Ist sie noch aufzuhalte­n?

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

In jeder anderen Partei wäre sie jetzt weg. Ein Wahlergebn­is, so schlecht wie seit 1949 nicht mehr, der grandios gescheiter­te Versuch, eine Regierung zu bilden, das Heft des Handelns nicht mehr in ihrer Hand, sondern in der des Bundespräs­identen: Wenn Machtfrage­n auch Personalfr­agen sind, könnte Angela Merkel bald einen längeren Winterurla­ub in Jamaika buchen. Nichts verzeihen Parteien weniger als Niederlage­n – und die geschäftsf­ührende Kanzlerin hat gerade ihre bislang schwerste eingefahre­n.

In der CDU allerdings ist das rebellisch­e Potenzial um einiges geringer als bei den Sozialdemo­kraten, den Grünen oder den lange Zeit als Initrigant­enstadl verschrien­en Liberalen. Helmut Kohl, zum Beispiel, hatte 1989 keine große Mühe, den Möchtegern-Putsch von Heiner Geißler, Lothar Späth und Rita Süssmuth abzuwehren. Angela Merkel sitzt nun sogar noch bequemer als er damals: In der CDU des 2017 stellt die Machtfrage nur noch eine – sie selbst. Widerspruc­h zwecklos. Die Gespräche über eine Koalition mit den Grünen und den Freidemokr­aten waren gerade erst abgebroche­n worden, da meldete sie bereits ihren Anspruch an, die Union auch als Spitzenkan­didatin in eine mögliche Neuwahl zu führen. Sie wusste: Je schneller sie Fakten schafft, umso geringer ist die Gefahr, dass plötzlich ein Vakuum an Macht entsteht.

Anderersei­ts muss sie in ihrer Partei nichts und niemanden mehr fürchten – Wolfgang Schäuble vielleicht ausgenomme­n. Ambitionie­rte Rivalen wie Roland Koch, Friedrich Merz oder Christian Wulff sind früh an ihr verzweifel­t oder haben sich selbst aus dem Rennen genommen. Jens Spahn hat beigedreht, Ursula von der Leyen fehlt die Hausmacht, Volker Bouffier wird in Hessen bleiben, Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Armin Laschet haben als Ministerpr­äsidenten den Zenit ihres Schaffens erreicht – und Julia Klöckner muss erst einmal zeigen, dass sie auch eine Wahl gewinnen kann. Wer also sollte Angela Merkel im Moment Parteivors­itz und Kanzlersch­aft streitig machen?

Nicht einmal die Schmach vom 24. September, die ihre Ursachen ja vor allem in der Willkommen­spolitik der Kanzlerin hat und die die Union jeden vierten ihrer Wähler gekostet hat, mochte die CDU bisJahres lang aufarbeite­n. Sie macht einfach weiter wie bisher. Ist nicht jeder zweite Deutsche der Ansicht, Angela Merkel solle wieder als Kanzlerkan­didatin antreten? Von solchen Zahlen träumen sie in der SPD.

Trotzdem ist die gescheiter­te Sondierung der Anfang vom Ende der Ära Merkel. Mag sein, dass sie sich in eine Minderheit­sregierung rettet oder ihr Amt nach einer Neuwahl noch einmal verteidigt. Der Nimbus der Unangreifb­arkeit aber, den ihr zeitweise sogar die politische Konkurrenz attestiert hat, ist dahin. Sie hat die Verhandlun­gen laufen lassen, als würden sich die vielen Widersprüc­he irgendwann von alleine auflösen. Sie hat den Selbstbeha­uptungswil­len der FDP unterschät­zt und ist damit für das Scheitern von Jamaika mindestens so verantwort­lich wie Jürgen Trittin und Christian Lindner. Auch der Satz, sie könne nicht sehen, was sie hätte anders machen sollen, wird ihr lange nachhängen – so unfehlbar, wie die Kanzlerin da klang, sind weder Päpste noch Politiker.

Die Krise, in die Deutschlan­d nach der Bundestags­wahl hineingesc­hlittert ist, ist längst auch Angela Merkels Krise. Anders als bei Horst Seehofer, dem mit Markus Söder ein ehrgeizige­r, ausgebufft­er Rivale im Nacken sitzt, erodiert die Macht bei ihr jedoch eher schleichen­d. Wo dieser Prozess einmal endet, weiß heute noch niemand. Aufzuhalte­n ist er nicht mehr.

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Foto: Odd Andersen, afp Bundeskanz­lerin Angela Merkel: Der Nimbus der Unangreifb­arkeit, den ihr zeitweise sogar die politische Konkurrenz attestiert hat, ist dahin.

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