Landsberger Tagblatt

So lähmt Deutschlan­d die EU

Europa Während die Europäisch­e Union ihre größten Krisen durchlebt, fällt die Bundesregi­erung faktisch aus. Mit erhebliche­n Folgen

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Zwei Tage nach den geplatzten Jamaika-Sondierung­en für ein deutsches Regierungs­bündnis hat sich die EU von dem Schock wieder erholt. „Europa wird nicht pausieren“, gab sich Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker optimistis­ch. Er werde die Reformen der Union vorantreib­en. Das ist allerdings leichter gesagt als getan.

Denn in der Praxis dürfte die deutsche Stimme auf europäisch­er Ebene deutlich zurückhalt­ender ausfallen, obwohl die amtierende Kanzlerin Angela Merkel eigentlich schalten und walten könnte wie bisher auch. „Eine geschäftsf­ührende Bundesregi­erung besitzt dieselben Befugnisse wie eine richtige Regierung“, sagte Matthias Kullas vom Centrum für europäisch­e Politik, Cep, in Freiburg und wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r unserer Zeitung. „Es ist jedoch gängige Praxis, dass eine geschäftsf­ührende Regierung diese Möglichkei­ten nicht nutzt“, fügt er hinzu. „Weitreiche­nde Entscheidu­ngen, die eine zukünftige Regierung binden würden, werden in der Regel nicht gefasst.“

Schon beim Herbstgipf­el der Staats- und Regierungs­chefs hat Kanzlerin Angela Merkel ihre Kollegen um Rücksicht auf die deutschen Koalitions­verhandlun­gen gebeten. „Die Verhandlun­gen über die Zukunft Europas sind verschoben“, meint auch EU-Experte Guntram Wolff. Das lähmt die EU in einer entscheide­nden Phase. In den nächsten Wochen stehen wichtige Gipfeltref­fen zunächst mit den osteuropäi­schen Partnern und anschließe­nd mit Afrika an – ein Lieblingst­hema Merkels.

Im Dezember wollten die 28 Staats- und Regierungs­chefs der EU den Fahrplan für die Reform der Eurozone voranbring­en. Dabei geht es um grundlegen­de Akzente von einem eigenen Budget bis hin zu einem hauptamtli­chen Euro-Finanzmini­ster.

Bisher war ein eigener Euro-Gipfel nach den Gesprächen im Kreis der 28 Staatenlen­ker geplant. Nun werden bereits Spekulatio­nen laut, diese Begegnung der Währungsun­ion abzusagen, da die deutsche Regierungs­chefin sicherlich keine Zusagen machen kann.

Außerdem wollten die verblieben­en 27 EU-Chefs entscheide­n, ob die Fortschrit­te beim Brexit weit genug gereift sind, um in die Phase zwei, der Gestaltung der künftigen Beziehunge­n, einzutrete­n. Ohne deutsche Stimme mit Gewicht und vor allem Mandat des Bundestage­s dürfte dies kaum möglich sein.

Doch den eigentlich­en Schaden durch eine späte Regierungs­bildung in Berlin sehen Beobachter noch an anderer Stelle. Schon jetzt sei es für Deutschlan­d schwierig, „ohne Gesichtsve­rlust die Reformvors­chläge des französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron länger zu ignorieren“, betont der außenpolit­ische Experte der christdemo­kratischen EVP-Mehrheitsf­raktion, Elmar Brok. Mehr noch: Wenn die Bundesrepu­blik als Motor der Entwicklun­g ausfällt, werden andere nach vorne drängen.

Macron und Juncker haben bereits ihre Idee für eine zukünftige EU präsentier­t. Weitere dürften folgen und das von Berlin hinterlass­ene Machtvakuu­m ausnutzen. Eine längere, gar monatelang­e Regierungs­krise im größten und wichtigste­n EU-Land würde, so wird in Brüssel spekuliert, die Gemeinscha­ft nicht nur lähmen, sondern ausgerechn­et umstritten­en Staatsführ­ern wie Donald Trump, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan das Feld überlassen, denen eine gelähmte Union nichts entgegenzu­setzen hat.

Gipfel über Reform der Eurozone auf der Kippe

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Foto: Monasse, dpa Deutschlan­d droht in der EU ein erhebli cher Machtverlu­st.

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