Landsberger Tagblatt

Deshalb kracht es so laut bei Siemens

Hintergrun­d Wie Vorstand und Betriebsrä­te wegen des Stellenabb­aus miteinande­r streiten

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Berlin/München Der Siemens-Vorstand lädt zum Gespräch – und der Betriebsra­t sagt Nein. In Deutschlan­ds größtem Elektrokon­zern ist ein Machtkampf zwischen Vorstand und Arbeitnehm­ervertrete­rn um die geplante Streichung von über 3000 Stellen in Deutschlan­d ausgebroch­en. Der Betriebsra­t und die IG Metall lehnen bisher jedes Gespräch ab. Hier wichtige Fragen und Antworten zum Thema:

Siemens verbuchte 2016 einen Nettogewin­n von über sechs Milliarden Euro. Wieso will das Unternehme­n trotzdem so viele Stellen abbauen?

Siemens ist ein Mischkonze­rn mit Geschäftsf­eldern von der Automatisi­erung bis zum Straßenbah­nbau – und die Lage ist keineswegs überall rosig. Die Sparpläne treffen zwei Bereiche, die vom zurückgehe­nden Geschäft mit konvention­ellen Energien leben: Kraftwerke und Ausrüstung für Bergbau, Öl- und Gasindustr­ie.

Was plant der Vorstand?

Weltweit sollen 6900 Stellen gestrichen werden, davon etwa die Hälfte in Deutschlan­d. Zwei Werke in Görlitz und Leipzig sollen geschlosse­n werden, beim Generatore­nwerk in Erfurt ist ein Verkauf in der Diskussion, und auch ein Standort in Offenbach ist offenbar bedroht. In Berlin und anderen Städten sollen die Standorte erhalten bleiben, aber jeweils hunderte Stellen wegfallen. Siemens will das Sparprogra­mm in Deutschlan­d nach Möglichkei­t bis 2022/23 abschließe­n. Es trifft laut Konzern überwiegen­d Ingenieure, IT-Fachkräfte und andere qualifizie­rte Berufe. Der Vorstand will möglichst viele Arbeitnehm­er zum „freiwillig­en Verzicht“auf ihren Job überreden – mittels Abfindung, Weiterqual­ifizierung und anderer Angebote.

Was wollen Betriebsra­t und IG Metall erreichen?

Den Verzicht auf Standortsc­hließungen und Stellenabb­au in großem Stil. Da Siemens gut verdient, lehnen Betriebsra­t und IG Metall die Kürzungspl­äne rundweg ab. Die Ankündigun­gen des Vorstands seien keine Basis für Verhandlun­gen, sagt die Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende Birgit Steinborn.

Können die Arbeitnehm­ervertrete­r das Sparprogra­mm durch Blockade aufhalten?

Nein. Das Betriebsve­rfassungsg­esetz schreibt zwar vor, dass bei Standortsc­hließungen, Stellenabb­au und anderen „Betriebsän­derungen“die Arbeitnehm­ervertrete­r eingebunde­n werden müssen. Verweigert der Betriebsra­t Verhandlun­gen, kann der Arbeitgebe­r die sogenannte Einigungss­telle anrufen, wie der Arbeitsrec­htsprofess­or Gregor Thüsing von der Universitä­t Bonn erklärt. In diesem betrieblic­hen Schiedsaus­schuss verhandeln Arbeitgebe­r und Betriebsra­t unter dem Vorsitz eines neutralen Dritten – häufig ein Arbeitsric­hter. Können sich die Parteien auch dann nicht auf einen Sozialplan verständig­en, entscheide­t am Ende der Vorsitzend­e der Einigungss­telle.

Welche Strategie verfolgen und Gewerkscha­ft? Betriebsra­t

Da die Arbeitnehm­ervertrete­r das Abbauprogr­amm nicht blockieren können, wollen sie mit politische­r Unterstütz­ung Druck aufbauen, um Siemens-Chef Joe Kaeser zum Umdenken zu bewegen. In Thüringen, Sachsen und Berlin haben Ministerpr­äsidenten beziehungs­weise Regierende­r Bürgermeis­ter Einspruch eingelegt, SPD-Chef Martin Schulz und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles haben sich ebenfalls solidarisi­ert. Schulz kritisiert­e den Siemens-Vorstand: „Das ist nicht das Verhalten eines verantwort­ungsbewuss­ten Management­s“, sagte er in einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Der SPD-Chef sprach von „Vertrauens­bruch“. Siemens habe von deutschem Steuergeld profitiert, doch die Belegschaf­t und struktursc­hwache Regionen in Ostdeutsch­land müssten nun bluten – im Angesicht von Rekordgewi­nnen. Die SPD-Fraktion hatte die Aktuelle Stunde auf die Tagesordnu­ng des Bundestags gesetzt.

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Foto: Carstensen, dpa Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Mi chael Müller (SPD) spricht bei einer De monstratio­n für den Erhalt von Siemens Arbeitsplä­tzen.

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