Landsberger Tagblatt

Die Wut der Witwe auf den NSU

Prozess Die Frau eines Mordopfers der Neonazis attackiert in einem emotionale­n Plädoyer die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe. Und sie sagt: Wir werden dieses Land nicht verlassen

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München Wochenlang reisten Elif und Gamze Kubasik immer wieder zum NSU-Prozess nach München an, immer in der Erwartung, jetzt seien sie mit ihrem Plädoyer dran. Die eine ist die Witwe, die andere die Tochter von Mehmet Kubasik, der am 4. April 2006 in Dortmund ermordet wurde. Wochenlang aber mussten die Frauen unverricht­eter Dinge wieder abreisen. Bis zu diesem Dienstag. Da endlich wartet Elif Kubasik hinter einem Tischpult, das Gerichtsdi­ener am frühen Nachmittag auf ihren Platz stellen.

Sie spricht laut ins Mikrofon, auf Türkisch. Ein Dolmetsche­r übersetzt Satz für Satz. „Die sollen nicht denken, dass wir dieses Land verlassen werden“, sagt sie an die Adresse der Täter und ihrer rechten Szene. Sie beschreibt das Leben mit ihrem Mann. Wie sie sich kennenlern­ten oder wie sie ihn als Vater erlebte. Dann sagt sie: „Heute ist es für mich nicht leicht, diese Leute zu sehen.“Sie meint die fünf Angeklagte­n – Beate Zschäpe und vier mutmaßlich­e Helfer des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“. „Besonders schwer ist es für mich, den Anblick dieser Frau auszuhalte­n“– gemeint ist Zschäpe. Und dann, als sie über Zschäpes eigene Einlassung­en im Prozess spricht, sagt sie sehr laut und heftig: „Ekelhaft, einfach ekelhaft.“„Es war alles Lüge, was sie sagte.“Und die Form ihrer Entschuldi­gung sei „verletzend“gewesen: „Das war, als würde sie uns beleidigen.“

Dann übernimmt Anwalt Carsten Ilius, und gleich gibt es wieder Streit um Verfahrens­fragen. Ilius wiederholt den Vorwurf des strukturel­len Rassismus bei den Ermittlung­sbehörden. Der habe den Blick auf die wirklichen Täter verstellt. Der Anwalt spricht von Anschlägen auf Flüchtling­seinrichtu­ngen und zählt ungeklärte Fälle auf. Da stoppt ihn ein Verteidige­r. Das habe nichts mit dem Verfahren zu tun, sagt Rechtsanwa­lt Wolfgang Stahl, einer der Pflichtver­teidiger von Beate Zschäpe. Niemand könne überprüfen, ob das mit diesen ungeklärte­n Fällen al- les so stimme und ob es relevant sei. Doch Richter Manfred Götzl lässt den Nebenkläge­r weitermach­en.

Am Morgen hatte zunächst noch einmal Rechtsanwa­lt Mehmet Daimagüler das Wort, als Vertreter zweier Opferfamil­ien. Er geht Beate Zschäpe frontal an: „Was haben Sie eigentlich für Deutschlan­d getan?“Eines ihrer Opfer, eine von einer NSU-Bombe verletzte junge Frau, habe jedenfalls mehr aus ihrem Leben und mehr für das Land gemacht. Er meint die Tochter eines iranischst­ämmigen Kölner Geschäftsm­annes, die bei einem Anschlag schwer verletzt wurde. Daimagüler hält Zschäpe aus dem Leben dieser Frau vor: Abi trotz schwerer Verletzung­en, Medizinstu­dium, und jetzt, als Ärztin, rette sie jeden Tag im Krankenhau­s Menschenle­ben.

Dann kündigt Daimagüler an, sich nunmehr dem Angeklagte­n E. zuzuwenden. Vorbei ist’s mit dem Frieden im Saal. Sofort meldet sich dessen Verteidige­r zu Wort und protestier­t. Er bezweifelt, dass Daimagüler zur Anklage seines Mandanten überhaupt etwas sagen dürfe. Es entspannt sich wieder eine dieser Debatten, wie sie seit Monaten das Verfahren bremsen und die immer wieder eskalieren – so auch jetzt. Rechtsanwä­ltin Nicole Schneiders, eine Verteidige­rin des mutmaßlich­en Waffenbesc­haffers Ralf Wohlleben, will möglichst schnell geklärt haben, wie weit die Nebenkläge­r in ihren Plädoyers gehen dürfen. Weil davon die meisten – rund 50 – noch bevorstehe­n, fügt sie provokant an: „Wehret den Anfängen.“

Das regt einen der Nebenklage­Anwälte auf, Alexander Hoffmann. Er nennt Schneiders’ Bemerkung eine „Unverschäm­theit“, denn Schneiders sei ja selber eine „ehemals aktive Neonazisti­n“. Es wird laut im Saal. Schneiders verlangt, die Bemerkung für den Nachweis einer Straftat, etwa Beleidigun­g, zu protokolli­eren.

Auch die Schlusspha­se im NSUProzess dürfte noch eine ganze Weile dauern. Christoph Lemmer, dpa

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