Landsberger Tagblatt

„Es gibt Leute, die mir den Tod wünschen“

Interview Regisseur Fatih Akin erzählt, wie er für seinen morgen startenden Kinofilm „Aus dem Nichts“mit Diane Kruger und mit der Hamburger Polizei zusammenar­beitete

- Interview: Aliki Nassoufis

In Ihrem neuen Film „Aus dem Nichts“gibt es eindeutige Parallelen zu den Anschlägen der rechtsextr­emen Terrorgrup­pe „Nationalso­zialistisc­her Untergrund“, kurz NSU. Was hat bei Ihnen den Anstoß gegeben, das in einem Film zu thematisie­ren?

Fatih Akin: Als klar war, dass die Morde von dem NSU begangen worden waren und wer der NSU überhaupt ist. Das war 2011 und für mich die Initialzün­dung, das auch filmisch aufzugreif­en. Es ist meine persönlich­e Verarbeitu­ng mit dem Phänomen NSU.

Hat dabei auch der öffentlich­e Diskurs zu diesem Thema eine Rolle gespielt? Immerhin hat es viele Jahre gedauert, bis der NSU aufgedeckt wurde.

Akin: Ja, natürlich. Ich fand sehr skandalös, dass die Ermittler davon ausgingen, dass die Opfer und ihre Familien irgendwie Dreck am Stecken hatten – einfach aufgrund der Herkunft. Also dass die Opferangeh­örigen aus diesem Grund fast eine Dekade lang als Täter beschuldig­t wurden und Verdächtig­e waren, das ist Rassismus. Für mich ist das fast genauso schlimm wie die Ermordung. Einerseits wird ein Angehörige­r von ihnen ermordet und indem sie mitbeschul­digt werden – so wie es ja in der Öffentlich­keit auch behauptet wurde – wurden die Menschen noch ein zweites Mal ermordet. Als jemand mit türkischem, mit ausländisc­hem Hintergrun­d hatte ich da schon das Gefühl, das mich das persönlich angeht. Das hätte auch mich treffen können. Es ist ja auch ein Mann in Hamburg vom NSU umgebracht worden. Ich kannte ihn nicht persönlich, aber Bekannte von mir. Das war ja in Altona. Die Straße, wo er umgebracht wurde, ist nur einen Steinwurf von meinem Zuhause entfernt.

Was ging Ihnen da durch den Kopf? Akin: Ich bin ja in diesem Land geboren und aufgewachs­en, es ist damit auch mit mein Land. Und trotzdem gibt es Leute, die mir den Tod wünschen, einfach weil meine Eltern aus einem anderen Kulturkrei­s kommen oder weil ich aussehe wie ich aussehe.

Haben Sie als Sohn türkischer Eltern in Ihrem Leben selbst fremdenfei­ndliche Erfahrunge­n gemacht?

Akin: Ja, klar! Das muss ich jetzt nicht im Einzelnen erwähnen, wann und was – aber natürlich! Das passierte mal offen, mal subtil. Je bekannter ich geworden bin, desto subtiler wurde es. Ich bin ja nicht als Filmemache­r geboren; davor war es deutlich offener und offensicht­licher. Natürlich hat sich auch viel verändert in Deutschlan­d. Aus Gastarbeit­ern sind Einwandere­r geworden. Aber es gibt weiter einen Extremismu­s, mit dem man sich auseinande­rsetzen muss. Das möchte ich auch als Künstler tun. Der NSU-Prozess dauert bereits mehrere Jahre. Für viele ist das eine Farce. Was sagen Sie dazu?

Akin: Natürlich muss alles aufgearbei­tet werden, bis ins kleinste Detail. Ich habe als Außenstehe­nder, der das von außen beobachtet, kein großes Problem damit, dass es so lange dauert. Ich vermute aber, dass es gar nicht bis ins kleinste Detail aufgearbei­tet wird. Denn: Inwiefern wusste der Verfassung­sschutz von diesen Taten? Wie weit hat er das gedeckt? Warum wurden Akten über V-Leute gleich nach dem Bekanntwer­den des NSU vernichtet? Das wird ja in diesem Prozess nicht aufgedeckt. Deswegen finde ich den Prozess als Steuerzahl­er schon jetzt nicht befriedige­nd.

Die Hauptrolle der Katja in Ihrem Film spielt Diane Kruger. Sie drehte dafür zum ersten Mal auf Deutsch. Können Sie ein bisschen erzählen, wie es zu dieser Zusammenar­beit kam? Akin: Ich habe Diane 2012 in Cannes bei einer Party kennengele­rnt. Ich war damals mit einem Dokumentar­film da. Sie hat mir gesagt, dass sie sehr gerne mal mit mir arbeiten würde. Das war Small Talk auf einer Party – aber ich habe das nicht vergessen. Und als ich dann überlegt habe, wen ich für diese Rolle besetzen könnte, habe ich an sie gedacht. Dann habe ich ihr das Drehbuch geschickt, und sie mochte es.

Wie ging es dann weiter?

Akin: Ich habe mir alle ihre Filme angeguckt. Ich habe studiert, wie ich sie fotografie­ren könnte und wie nicht. Wir haben dann auch sehr eng miteinande­r gearbeitet. Wir haben diese Figur gemeinsam entwickelt. Diane ist sehr klug, sie hat gute Antennen: Sobald eine Szene nicht funktionie­rt, merkt sie das sofort. Als Regisseur ist man gut daran beraten, auf sie zu hören. Ich hoffe, das ist nicht unser letzter Film!

Sie hatten bei Ihrer Recherche Kontakt mit Opferverbä­nden und Polizei. Wie verlief diese Zusammenar­beit? Akin: Die Polizei in Hamburg hat uns beim Drehbuchsc­hreiben sehr geholfen. Sie hat uns erklärt, was da genau gemacht wird, wenn so etwas wie ein Anschlag passiert. Wie sind die genauen Abläufe, wer macht da was und wie? Wir konnten Leute aus allen Einheiten, die damit etwas zu tun haben, großzügig ausfragen. Viele von denen spielen jetzt auch selbst im Film mit. Das sind also teilweise echte Polizisten, Seelsorger und Richter.

Hatten Sie auch Kontakt zu Angehörige­n?

Akin: Andreas Thiel, einer unserer Rechtsbera­ter, ist Anwalt von dem Mann, der in Hamburg vom NSU ermordet wurde. Er vertritt dessen Familie und hat uns einen Einblick geben können.

 ?? Foto: Breuel Bild ?? Der deutsche Regisseur Fatih Akin zusammen mit Hollywood Star Diane Kruger, die in seinem neuen Film „Aus dem Nichts“eine Hauptrolle spielt.
Foto: Breuel Bild Der deutsche Regisseur Fatih Akin zusammen mit Hollywood Star Diane Kruger, die in seinem neuen Film „Aus dem Nichts“eine Hauptrolle spielt.

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