Landsberger Tagblatt

Heißer Schweden Ofen

Test Skandinavi­sch-unterkühlt? Von wegen! Der stärkste Volvo XC60 schlägt nicht nur optisch über die Stränge

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Skandinavi­er gerieren sich ja gerne als die Musterschü­ler Europas. Sie haben saubere Städte, intakte Sozialsyst­eme, gescheite Schulkinde­r und rigorose Tempolimit­s, für deren Übertretun­g sie sich überaus hart und lustvoll bestrafen.

Höchste Zeit also, dass endlich Schluss ist mit dem Streber-Image! Widerstand regt sich ausgerechn­et in den eigenen Reihen. Der schwedisch­e Autobauer Volvo hat längst von der Vernunft- in die Spaßfrakti­on gewechselt und ärgert damit die deutsche Premium-Konkurrenz.

Die Botschaft: Dicke Hose können wir auch, vielleicht sogar besser. Wir testeten einen Volvo XC60 in der besten Motorisier­ung und in der offensivst­en Ausstattun­g, sprich als „T6 R-Design“. Allein das Styling der 21 Zoll riesigen, in „Diamantsch­liff und Graphitopt­ik“gehaltenen Felgen positionie­rt den Schweden so aggressiv, dass selbst manchem Porsche-Macan-Fahrer das Knäckebrot aus dem Gesicht fällt.

Dabei kommt der XC60 keineswegs prollig daher. Seine klare, kantige Formenspra­che verträgt den ein oder anderen Kraftausdr­uck, etwa in Form der LED-Tagfahrleu­chten, die – kein Scherz! – in „Thors Hammer“-Optik gestaltet sind.

Doch hält der Antritt, was der Auftritt verspricht? Nominell auf jeden Fall, wuchtet der potenteste Otto doch 320 PS auf die Kardanwell­e. Die Kraft wird serienmäßi­g über eine Achtgang-Automatik an alle vier Räder verteilt. Damit rückt der Sieg im Ampelsprin­t in greifbare Nähe. Vom Stand weg schiebt der Motor mächtig an, dreht unter kernigem Klang hoch und entfaltet bei knapp 5000 Touren einen ExtraPunch. Man glaubt es kaum, dass diese Power einem schmalbrüs­tigen Vierzylind­er entspringt.

Sobald die Strecke jedoch selektiver wird, leistet sich eine Komponente des Triebstran­gs Schwächen: das Getriebe. Es schaltet vor Kurven häufig zu spät herunter – und somit erst am Scheitelpu­nkt, was sehr kontraprod­uktiv ist – und hält die Gänge oft nicht lange genug, um das Auto balanciert-schnell zu bewegen. Im Fahrmodus „Dynamic“bessert sich das Timing spürbar, jedoch muss der Fahrer umständlic­h an einem Dreh/Drückschal­ter in der Mittelkons­ole fummeln, um die ge- Abstimmung abzurufen. Und richtig ausgewogen erscheint selbst die dann nicht. Am besten lässt man die Gänge manuell über die Schaltwipp­en durch die Kulisse flutschen.

Überhaupt: die Bedienung. Das senkrecht stehende, iPad-große Zentraldis­play und die ebenfalls vertikal angeordnet­en Lüftungssc­hlitze unterstrei­chen zwar das extravagan­te Design, machen dem Fahrer das Leben aber nicht leichter. Viele Funktionen sind zu verschacht­elt im digitalen Dschungel angeordnet, um sie intuitiv nutzen zu können. Das ständige Wischen und Tatschen am relativ weit entfernt platzierte­n Bildschirm frisst gefährlich viel Aufmerksam­keit. Eingängig dagegen, wenn man es einmal kapiert hat: die Aktivierun­g der Fahrassist­enz. Sie lässt sich am Lenkrad in Stufen durchschal­ten – vom einfachen Speedlimit­er über den Abstandste­mpomaten bis zu einem Quasi-Autopilote­n, der den Wagen alleine steuert, wobei man schon noch eine Hand ans Volant legen muss.

Echter Langstreck­en-Komfort kommt kaum auf. Dazu ist das Fahrwerk zu hart abgestimmt (keine Kritik, im Gegenteil!) und die Geräuschku­lisse etwas zu aufdringli­ch bei Autobahn-Tempo. Überdies sorgt der gesunde Durst des „T6“für regelmäßig­e Pausen an der Tankstelle. Viel mehr als 500 Kilometer Reichweite steckten in unserem Test nicht drin im 71-LiterTank. Happige 12,8 Liter Durchwünsc­hte schnittsve­rbrauch zeigte der Bordcomput­er am Ende. Dafür hätte sich Volvo nicht vom Sechszylin­der verabschie­den müssen. Was lernen wir daraus? Selbst ein Vierzylind­er mutiert zum Schluckspe­cht, wenn er getreten wird.

Auch beim Preis schlagen die Schweden munter über die Stränge. Na gut, der Hersteller wird wissen, was er für „Europas meistverka­uften Mittelklas­se-SUV im Premiumseg­ment“(O-Ton Volvo) nehmen kann. Mehr oder weniger nackt kostet der Volvo XC60 T6 AWD R-Design schon knapp 59 000 Euro. Die Sahnestück­chen aus der ExtraListe wie der Quasi-Autopilot, das Panorama-Schiebedac­h sowie das hochwertig­ere Infotainme­ntsystem sind da allerdings noch nicht an Bord. Dermaßen „voll“schlägt der XC60 mit mehr als 85000 Euro zu Buche! Merke: Wir sind hier in Schweden, aber nicht bei Ikea.

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Foto: Volvo Zeigt klare Kante: der Volvo XC60 in der aggressivs­ten Ausstattun­gsvariante „R Design“.

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