Schätze aus dem Bundeswehrfundus
Bundeswehr Das LTG 61 in Penzing wird aufgelöst. Beim Aufräumen finden sich viele alte Sachen. Herbert Wintersohl entscheidet, was im Wertstoffcontainer landet oder was von militärgeschichtlicher Bedeutung ist
Penzing Ein ganzes Geschwader wie das Lufttransportgeschwader 61 aufzulösen, ist eine Herkulesaufgabe. Wenn, wie in Penzing, auch noch die ganze Kaserne besenrein zu übergeben ist, kommt noch eine wichtige Frage hinzu: Wohin mit den Schätzen der Geschichte?
Von Feldtoiletten bis zum alten, roten Alarmtelefon des Gefechtsstands, von den Wrackteilen eines abgestürzten Weltkriegsfliegers bis zum Gesichtsschutz für amerikanische Boxer. Die Bandbreite der Kuriositäten ist unvorstellbar. Stabsfeldwebel Herbert Wintersohl entdeckt sie fast täglich in Kellern und auf Dachböden auf dem weitläufigen Fliegerhorstgelände. Oft kann er gar nicht sagen, um was es sich da handelt. Zum Beispiel bei dem Tontaubenwurfgerät, das in der Ecke eines Speichers lag. Wochenlang konnte der inoffizielle „Geschwaderhistoriker“ mit dem Gestänge nichts anfangen – bis er in einem alten Lageplan der Kaserne den Tontauben-Schießstand fand. Da der „Vogelschlag“, die Kollision eines Vogels mit einem Flugzeug, fatale Folgen haben kann, wurden früher die Vögel auf dem Fliegerhorst bejagt. Für diese Aufgabe übte ein Soldat mit Jagdberechtigung auf dem Tontaubenschießstand.
„Bei Weitem nicht alles hat auf den ersten Blick einen musealen oder geschichtlichen Wert“, gibt Wintersohl zu, der im LTG61 als Luftfahrzeugladungsmeister in der Transall eingesetzt ist. Für seine Kameraden ist es nicht einfach zu erkennen, ob das Fundstück oder auch das Gerät einen Wert hat. Denn die meisten halten es für „altes Glump“, das zum kaserneneigenen Wertstoffhof gebracht wird. Dort landet das Zeug im Container. „Die Sensibilisierung der Leute ist mir leider nicht ausreichend gelungen, es ist ein Trauerspiel, was da alles weggeworfen wird“, so der 51-Jährige. „Spannend wird es, wenn es zu dem Relikt eine Geschichte zu erzählen gibt“, so Wintersohl weiter. Das hat er bei der Ausstellung „Servus Transall – vom Abschied der Luftwaffe in Penzing“im Landsberger Stadtmuseum beherzigt, die er mit Museumsleiterin Sonia Fischer kuratiert hat. In dieser Ausstellung wurde das fast 50 Kilo schwere Funkgerät gezeigt, mit dem Stabsfeldwebel Dieter Schubert 1985 in Äthiopien saß. Mit viel technischem Geschick konnte er das legendäre Tennisspiel von Boris Becker in Wimbledon übertragen.
Viele Rätsel zu gefundenen Objekten lösen sich, wenn Wintersohl recherchiert oder jemanden trifft, der ihm sagen kann, um was es sich dabei handelt. So konnte ihm der „Spieß“der Flugabwehrraketengruppe erklären, dass eine aufgefundene runde Scheibe dazu diente, den Ausbreitungsradius der FalloutWolke nach einem Nuklearangriff zu berechnen. Überhaupt ist der Kalte Krieg die große Leidenschaft des Hobby-Historikers. Eine Tafel, auf der der Alarmstatus der Einheiten im Verteidigungsfall geführt wurde, oder die Einrichtungen der Dekontaminationsschleusen im Bunker des Wing Operation Centers interessieren ihn besonders.
Großes Lob hat Herbert Wintersohl, der oft mit Info-Meister Oberstabsfeldwebel Uwe Lenke auf Sichtungstour im Geschwader unterwegs ist, von Oberstleutnant RalfGunter Leonhardt geerntet. „Wir können ruhigen Gewissens feststellen, dass nichts Wertvolles weggeworfen wird und wir so die historischen Dokumente und Objekte des Verbandes auch für zukünftige Generationen bewahren können“, sagt der Leiter des Militärhistorischen Museums am Flugplatz Berlin-Gatow nach seinem Besuch in Penzing.
Die Geschichte des Fliegerhorstes beginnt nicht erst 1971 mit Verlegung des LTG 61 von Neubiberg nach Penzing. Die Kaserne wurde 1935 erbaut und mit dem Kampfgeschwader 51 „Edelweiß“belegt. Deswegen finden sich vereinzelt Relikte, die bei genauerem Hinschauen aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen – etwa ein alter Stuhl oder ein Spind, gewöhnliche Alltagsgegenstände also. Häufiger finden sich Objekte aus der Zeit von 1945 bis 1958, in der sich die Amerikaner auf der „Landsberg Air Base
Das Becker Match wurde per Funkgerät empfangen
LAB“einquartiert hatten. Schwere graue Schreibtische und Bücherregale, Sportgeräte, Mülltonnen mit der Aufschrift „US Air Force“und Karosserie-Werkzeug. Nur die Gitarre von Johnny Cash, der drei Jahre in Penzing stationiert war und dort auch seine Karriere startete, hat Wintersohl noch nicht gefunden.
Bleibt die Frage nach dem „Wohin“der gesicherten Objekte. Im Prinzip gehört nach der Auflösung des LTG 61 alles dem Bund. Wintersohl überlegt mit der Geschwaderführung, was mit den Schrottteilen einer in Österreich abgestürzten Ju 88 passiert. Diese waren 70 Jahre nach dem Absturz durch den Rück– gang des Gletschers aufgetaucht. „Unsere Hubschrauber haben sie per Außenlast geborgen, und seitdem liegen sie bei uns im Keller“, erzählt der Stabsfeldwebel. Ein Nachkommando hat noch bis September 2018 Zeit, das große Areal mit über 40 Gebäuden und Hallen besenrein zu machen.