Reichsbürger Alarm im Gericht
Justiz Der wegen Nötigung angeklagte Mann verneint allerdings die Zugehörigkeit zu dieser Szene
Großes Polizeiaufgebot und gründliche Einlasskontrollen bei einer Hauptverhandlung im Amtsgericht. Grund: Auf der Anklagebank saß ein Mann, 39, dessen Jargon im Schriftverkehr mit der Polizei den Verdacht nahelegte, dass er der „Reichsbürger“-Szene angehören könnte. Dem Mitarbeiter aus der Gastronomie wurde „versuchte Nötigung“vorgehalten. Die soll er im März 2017 begangen haben.
Eng hängt damit ein Vorfall am Halloween-Abend 2016 zusammen: Vor einem Lokal in Landsberg soll ihm ein Jugendlicher einen Blumenkasten nachgeworfen haben. Zusammen mit Kollegen soll der 39-Jährige den Burschen 20 Minuten festgehalten haben. Das brachte dem Mann eine Anzeige und eine schriftliche Vorladung zur Polizei ein: Zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung – und wegen einer Stellungnahme zum Geschehen an Halloween. Der Angeklagte ging nicht hin. Stattdessen schrieb er Briefe, und darin drohte er dem Sachbearbeiter der Polizeiinspektion Landsberg. Demnach würde sich der Polizist bei weiteren Maßnahmen gegen ihn mit seinem privaten Vermögen schadensersatzpflichtig machen, war da zu lesen.
Die finanziellen Forderungen, die er sich vorstellte, listete der Beschuldigte gleich in einem Vertrag auf. Demnach sollten zum Beispiel für eine Stunde Freiheitsentzug 1000 Euro fällig werden. Warum hat der 39-Jährige das getan? Er habe „aufgrund von schlechten Erfahrungen“vor der Polizei Angst gehabt. Und er wollte angeblich sicherstellen, dass er nicht „falschen“Polizisten auf den Leim geht.
„Haben Sie sich das selbst ausgedacht?“, fragte Richter Alexander Kessler den Angeklagten. Er könne sich nicht vorstellen, dass er den besagten Vertrag ausgearbeitet habe. „Kostproben“aus den Briefen des Mannes wurden auszugsweise vorgelesen. Da hieß es unter anderem: „Ich bin ausschließlich im Naturrecht verwurzelt, und nur mir selbst und dem Universum gegenüber verpflichtet“. Und: „Ich bin lebend beseelt und weder auf See noch sonst wo verschollen.“Der Mann räumte ein, dass er die Texte aus dem Internet kopiert und bei seinem Verhalten den „falschen Weg“eingeschlagen habe. Er sei nicht gegen den Staat, sei kein „Reichsbürger“und nicht gegen die Polizei.
Einwände, dass er bei Ermittlungen von Beamten nicht ordnungsgemäß behandelt worden sei, wies der Richter zurück: „Da gibt es 0,0 Prozent, die zu beanstanden wären.“ Für Kessler gebe es keinen Zweifel, dass der Angeklagte zur Tatzeit schuldfähig war. Daran ändere die ärztliche Überweisung zu einem Psychotherapeuten nichts, die ihm auf den Tisch gelegt wurde. Demnach sollen bei seinem Mandanten, wie Rechtsanwalt Cliff Radke sagte, tatsächlich Angstzustände bestehen.
Für den Verteidiger war die Schuldfrage offen. Er forderte Freispruch. Die sechs Monate Haft, die Staatsanwältin Anja Aumüller beantragt habe, seien vollkommen überzogen. Die Vertreterin der Anklage wies darauf hin, dass der Beschuldigte die Straftat im März verübt habe. Einen Monat später wäre seine Bewährung aus einer vorhergehenden Straftat ausgelaufen.
Bei dieser Straftat handelte es sich um einen versuchten Totschlag, der mit vier Jahren Haft geahndet worden war. Etwa zwei Drittel der Strafe hatte der Mann abgesessen. Die Reststrafe von einem Jahr und vier Monaten sei zur Bewährung ausgesetzt worden. Ob es bei der Bewährung bleibt oder nicht – dazu wollte das Landgericht Kempten das Urteil in Landsberg abwarten. Das liegt jetzt vor: Kessler verhängte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 Euro. Wirksam ist das Urteil noch nicht, dagegen können Rechtsmittel eingelegt werden.
Briefe an die Polizei und ein Vertrag