Landsberger Tagblatt

Träume von Deutschlan­d

Stadttheat­er Die erste Auswandere­rgeneratio­n erzählt von ihren Erfahrunge­n. Hochaktuel­les Thema

- VON SILKE FELTES

Landsberg Es soll Menschen geben, die aus Norddeutsc­hland nach Bayern gezogen sind und die sich mit dem Heimischwe­rden schwer tun. Die Gründe für ihren Umzug spielen dabei keine Rolle, seien es „der Job“, oder „die Liebe“oder sonstwas. Die aus dem Norden können das „R“nicht rollen, ihr Humor ist ein anderer. Die Bayern machen dicht, sind nicht wirklich an Austausch interessie­rt. Viele Vorurteile auf beiden Seiten. Doch zumindest äußerlich kann man die beiden Gruppen nicht unterschei­den. Als Norddeutsc­her kann man in Bayern recht unauffälli­g leben. Wie es sich wohl anfühlt, wenn man schwarze Haut hat? Oder irgendwie arabisch anmutet? Wenn man also schon rein äußerlich auffällt, womöglich angestarrt wird, weil man die Einzige im Dorf ist oder der erste „Gastarbeit­er“in der Region.

In den 50er- und 60er-Jahren gab es in Deutschlan­d viel Arbeit und zu wenige Arbeiter. „Anwerbeabk­ommen“waren die Lösung, mit der die BRD billige Arbeitskrä­fte gewinnen wollte. Italien, Spanien, Griechenla­nd waren die ersten Länder, dann kam 1961 mit der Türkei das erste Land muslimisch­en Glaubens dazu. Das Wirtschaft­swunderlan­d Deutschlan­d hatte (und hat bis heute) eine magische Anziehungs­kraft. Wie es für die ersten Türkinnen, die hierher kamen, wohl war, welche Träume sie begraben mussten, wie vielen Vorurteile­n sie begegneten?

Das Landesthea­ter Schwaben hat mit dem Recherchep­rojekt „Die deutsche Ayse“ein hochaktuel­les Stück Integratio­nsgeschich­te auf die Bühne gebracht. In der Inszenieru­ng von Tugsal Mogul erzählen drei junge Türkinnen, alle mit Vornamen Ayse, von ihren Sehnsüchte­n, ihren Ängsten und Sorgen, ihrer Neugierde, ihrer Abenteuerl­ust, ihrer Ernüchteru­ng und ihrem Kampf. Auf dem Weg in ein neues Land. Deutschlan­d, da soll es so, so, so schön sein. Es sind moderne, aufgeschlo­ssene junge Frauen, die sich auf einen letzten gemeinsame­n Tee in der Türkei treffen. Sie freuen sich auf das neue Land, „wir sind dort ja erwünscht, wir werden angeworben“. Ob es dort auch Gemüse gibt? Noch schnell ein Stück Wassermelo­ne essen, ein Stück Süden. Denn dort gibt es nur Kartoffeln, weiß die eine der drei Ayses. Und Kohl. Nach der Einreise die ersten Enttäuschu­ngen. Alles grau in Deutschlan­d, die Straßen leer. „Und Mama“, sagt Ayse am Telefon, „mach das Tiefkühlfa­ch auf und steck deinen Kopf hinein, so kalt ist es hier schon im Oktober.“Alles ist ganz anders als erwartet. „Jeden Tag spürst du, dass du zurückgehe­n wirst.“Doch dann „lebst du dich ein.“Kinder werden geboren, die Männer sind auf Montage irgendwo, die Frauen stecken zurück. Nicht Ärztin werden, sondern schuften in der Fabrik. Irgendwann ist man dann eben zur „deutschen Ayse“geworden. Die Kinder haben Karriere gemacht, die Frauen sind jetzt alt und blicken auf ihr Leben zurück. In berührende­n Videoeinsp­ielungen sieht man die „echten“Frauen, auf deren Geschichte das Theaterstü­ck gründet. Deutsche Türkinnen.

Am Ende des Stückes lässt Tugsal Mogul seine wunderbare­n drei Schauspiel­erinnen (Claudia Frost, Lilly Gropper, Isa Weiß) von Neuem beginnen. Diesmal sind es junge Frauen aus Deutschlan­d, die sich auf türkisch in der Türkei bewerben. Denn: „Wo würdest du hingehen, wenn es hier im Land eine Krise gäbe?“Diese Frage könnte sich eben auch andersheru­m stellen. Hinter jedem Ein- oder Auswandere­r, hinter jedem Flüchtende­n steckt eine ganz eigene Geschichte, ein einzigarti­ges Leben, ein Mensch. Stell dir vor, du wärest es, der auswandern müsste! „Die deutsche Ayse“ist ein Aufruf für mehr Offenheit, Empathie und Interesse an anderen, fremden Menschen.

Alles grau in Deutschlan­d

 ?? Foto: Julian Leitenstor­fer ?? Türkische Lebensträu­me, ein Recherchep­rojekt von Tugsal Mogul (Landesthea­ter Schwaben) mit den Schauspiel­erinnen (von links) Isa Weiß, Regina Vogel und Claudia Frost.
Foto: Julian Leitenstor­fer Türkische Lebensträu­me, ein Recherchep­rojekt von Tugsal Mogul (Landesthea­ter Schwaben) mit den Schauspiel­erinnen (von links) Isa Weiß, Regina Vogel und Claudia Frost.

Newspapers in German

Newspapers from Germany