Landsberger Tagblatt

Tausende Totenschei­ne enthalten Fehler

Auswertung Ärzte bescheinig­en viel zu oft einen natürliche­n Tod. Sogar Morde erkennen sie manchmal nicht

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Frankfurt/Rostock/Bremen Als der Frankfurte­r Rechtsmedi­ziner Marcel Verhoff das Pflaster vom Brustkorb des Toten zog, entdeckte er die Stichwunde. Im Totenschei­n war „natürliche­r Tod“angekreuzt. Klar, sagt der Direktor des Instituts für Rechtsmedi­zin der Goethe-Universitä­t, das sei „ein besonders krasser Fall“gewesen. Aber dass Totenschei­ne voller Fehler sind und Leichensch­auen nur oberflächl­ich durchgefüh­rt werden, ist in Deutschlan­d eher die Regel als die Ausnahme.

Das Institut für Rechtsmedi­zin der Universitä­t Rostock hat 10000 Todesbesch­einigungen aus Rostock und Umgebung aus drei Jahren überprüft: Lediglich 223 waren fehlerfrei. Stattdesse­n fanden sich mehr als 3000 schwere und über 35000 leichte Fehler. In 44 Fällen wurde fälschlich­erweise ein natürliche­r Tod bescheinig­t.

Dass die Leichensch­au mangelhaft ist, ist keine neue Erkenntnis. Schon in den 1990er Jahren kam eine Studie des Münsterane­r Instituts für Rechtsmedi­zin zu dem Ergebnis, dass mehr als 10000 nicht natürliche Todesfälle pro Jahr unerkannt bleiben. Allerdings steckt nicht hinter jedem ein Verbrechen. Auch Unfälle, Stürze und „Todesfälle infolge ärztlicher Eingriffe“fallen darunter. Doch auch mindestens 1200 Tötungsdel­ikte wurden nicht erkannt.

In Bremen wird seit August jeder Gestorbene von einem speziell ausgebilde­ten Leichensch­auarzt begutachte­t. In Flächenlän­dern wie Hessen oder Bayern sei ein Modell wie dieses „nicht realisierb­ar“, glaubt Rechtsmedi­ziner Verhoff. Im Sommer bezeichnet­e es eine Sprecherin des Gesundheit­sministeri­ums im Freistaat gegenüber unserer Zeitung als „zielführen­der, die Aus-, Fortund Weiterbild­ung der Ärzte auch im Hinblick auf die Leichensch­au zu verbessern und Kontrollen der Dokumentat­ion einzuführe­n“. Ausreichen­d Interessen­ten an einer solchen Fortbildun­g gibt es nach Einschätzu­ng Verhoffs nicht.

Eine gute Leichensch­au geht so: helles Licht anmachen, den Toten nackt ausziehen, auf alle Seiten drehen, in alle Öffnungen schauen. Doch „die meisten Totenschei­ne werden am Küchentisc­h ausgefüllt“, sagt Verhoff. „Der Tote liegt im Bett, da schaut man mal durch die Tür.“Kreuzt der Arzt „unnatürlic­h“oder „ungeklärt“an, muss er zwingend die Polizei verständig­en. Die Leitung eines Pflegeheim­s werde sich nicht freuen, wie Verhoff sagt, wenn der engagierte junge Heimarzt bei allen Fällen, in denen er keine eindeutige Ursache erkennen kann, die Polizei ins Haus ruft.

Dass überhaupt Fehler auffallen, ist dem Trend zur Feuerbesta­ttung zu verdanken: Im Krematoriu­m muss die Leiche ein zweites Mal angeschaut werden. Eine Legende unter Rechtsmedi­zinern ist ein Fall, in dem in der Leiche noch das Messer steckte.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Mancher Arzt vermeidet bei Toten gro ßen Aufwand.

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