Landsberger Tagblatt

Wie sich mit der AfD der Ton im Bundestag ändert

Hintergrun­d Lauter, aggressive­r, turbulente­r: Seit dem Einzug der Rechtspopu­listen ins Parlament haben die Debatten deutlich an Schärfe gewonnen. Die anderen Parteien zeigen dabei keine Scheu im Schlagabta­usch mit der neuen Konkurrenz

- VON MARTIN FERBER

Berlin Für Claudia Roth ist es eine völlig neue Herausford­erung. Und dabei mangelt es ihr nicht an Erfahrung. Schon in der letzten Legislatur­periode hatte die frühere Grünen-Chefin als Bundestags­vizepräsid­entin die Aufgabe, Sitzungen des Bundestags zu leiten und dafür zu sorgen, dass die Regeln eingehalte­n, die Redezeiten nicht überschrit­ten oder Zwischenfr­agen zugelassen werden. Doch das war in Zeiten der Großen Koalition ein Leichtes im Vergleich zum neuen Bundestag, wie Roth nach nur wenigen Sitzungsta­gen seit der Wahl zugibt.

Denn der neue Bundestag ist mit 709 Abgeordnet­en und sechs Fraktionen nicht nur deutlich größer als der letzte mit lediglich vier Fraktionen, mit dem Einzug der AfD ist auch der Umgangston ein anderer geworden. „Es herrscht ein anderer Sound in den Reden“, sagt nicht nur Claudia Roth, sondern sagen alle, die schon etliche Jahre Parlaments­erfahrung auf dem Buckel haben. „Kein Vergleich zu früher“, heißt es in der Unionsfrak­tion. „Laut, aggressiv, schrill“, sagen Sozialdemo­kraten, manche Grüne finden es gar „bedrohlich“, wenn die 92 Mitglieder der AfD-Fraktion in geschlosse­ner Formation einziehen und wie eine Phalanx am rechten Rand des Plenarsaal­s Platz nehmen.

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) kündigte nach den ersten, äußerst lebhaften Debatten mit heftigen, gegenseiti­gen Vorwürfen bereits an, dass sich der Ältestenra­t darüber verständig­en müsse, „ob wir in dieser Form unsere parlamenta­rischen Auseinande­rsetzung bereichern“. Und Vizepräsid­entin Roth sagt, es sei wichtiger denn je, „genau zuzuhören, zu argumentie­ren, sich nicht provoziere­n zu lassen, einfach besser zu sein“.

Wie schwierig das im Einzelfall ist, erlebte Claudia Roth in dieser Woche, als sie die Debatte über die geplante Diätenerhö­hung leitete. Nur eine knappe halbe Stunde dauerte die Aussprache, doch in dieser ging es äußerst turbulent zu, an erregten Zwischenru­fen herrschte kein Mangel. Mehrfach musste die Grüne in die Debatte eingreifen und für Ruhe sorgen, als der AfD-Abgeordnet­e Stefan Keuter die anderen Parteien lautstark attackiert­e. „Voller Scham haben wir den Antrag von Union, der SPD und der FDP zur Kenntnis genommen“, sagte er gleich zu Beginn seiner Rede, „schämen Sie sich nicht?“

Den mehrfach erhobenen Vorwurf des AfD-Politikers, der Bundestag scheue die offene Debatte und winke die Diätenerhö­hung einfach durch, wies Roth entschiede­n zurück: Man befinde sich doch „mitten in der Aussprache“, sagte sie unter dem Beifall aller anderen Fraktionen. Noch deutlicher wurden andere Abgeordnet­e. Mehrfach wurde der AfD „Scheinheil­igkeit“vorgeworfe­n, weil sie zwar die Diätenerhö­hung kritisiere, für ihre Fraktionss­itzungen aber auf Kosten der Steuerzahl­er üppige kalte Buffets mit Getränken, belegten Brötchen und speziellen Mettigeln mit Aufschrift AfD für mehrere zehntausen­d Euro bestellt habe. Die Grüne Britta Haßelmann erinnerte daran, dass die AfD in den diversen Vorberatun­gen der Diätenerhö­hung nicht widersproc­hen und keinen Gegenantra­g eingebrach­t habe, in der Öffentlich­keit aber so tue, als sei sie dagegen. „Wer meint, uns hier im Parlament vorführen zu können, der muss früher aufstehen.“

So zeigt sich bereits nach den ersten beiden Sitzungswo­chen der neuen Legislatur­periode, dass der Einzug der AfD nicht nur zu schärferen Debatten, sondern auch zu einem Näherrücke­n aller anderen Parteien führt. Deutlich wurde dies, als der neue starke Mann der AfD, Parteiund Fraktionsc­hef Alexander Gauland, in dieser Woche einen Antrag für einen vollständi­gen Grenzschut­z und die Zurückweis­ung von Migranten bei einem unberechti­gten Grenzübert­ritt einbrachte. Den Vorwurf Gaulands, es gebe „staatsgefä­hrdendes Versagen in Fragen der Grenzsiche­rung“wiesen Union, SPD, FDP, Grüne und Linke in einer äußerst lebhaften Debatte mit zahlreiche­n Zwischenru­fen und Zwischenfr­agen unisono zurück.

Als Gauland sagte, „Menschen können illegal sein“, gab es sogar „Buh“-Rufe. Selbst jene in der CDU/CSU-Fraktion, die die ursprüngli­che, mittlerwei­le aber längst revidierte Flüchtling­spolitik der Bundeskanz­lerin scharf attackiert hatten, distanzier­ten sich entschiede­n von dem AfD-Antrag. Es sei „ naiv und dumm“zu glauben, alle Probleme „könnte man mit einer Maßnahme lösen“, sagte der frühere Bundespoli­zist und CDUAbgeord­nete Armin Schuster.

Der Sozialdemo­krat Lars Castellucc­i unterstell­te der AfD sogar, sie sei „in Wahrheit froh“, dass die Flüchtling­e gekommen seien, „dader mit Sie parteipoli­tischen Nutzen davon haben“.

Als wiederum der AfD-Abgeordnet­e Stefan Protschka seiner CDUKollegi­n Andrea Lindholz vorwarf, sie rede „Müll“, kam es zu lautstarke­n Protesten – wieder musste Claudia Roth als Sitzungsle­iterin schlichten. Am Ende wurde der AfD-Antrag zur weiteren Beratung in den Hauptaussc­huss überwiesen, doch schon in der Debatte zeichnete sich ab, dass ihn CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke ablehnen werden.

Noch turbulente­r könnte es werden, wenn sich Union und SPD auf eine Neuauflage der Großen Koalition verständig­en. Dann, so heißt es in der Union, könnte es zu einem

„Es herrscht ein anderer Sound in den Reden.“Bundestags­vize Präsidenti­n Claudia Roth

„Wettlauf“zwischen FDP und AfD umdi eM einungsfüh­rersc haft inder Opposition kommen, die imPlenars aal des Reichstags gebäudes nebeneinan­der sitzen, nur durch einen schmalen Gang getrennt.

FDP-Chef Lindner, so glauben nicht wenige CDU- und CSU-Parlamenta­rier, habe wohl auch deshalb die Jamaika-Sondierung­en für gescheiter­t erklärt, um das liberale Profil schärfen und gleichzeit­ig den Kampf gegen die AfD um die gemäßigten und eher bürgerlich­en Protestwäh­ler aufnehmen zu können. So lud die FDP als bisher einzige Fraktion d enges ch eitertenAf­DKandi daten um das Amt des Bundestags­vizepräsid­enten,Albrecht Glaser, der nach dem Willen der Partei erneut kandidiere­n soll, zu einem Gespräch ein.

Zudem brachten die Liberalen, wie die Rechts konservati­ven, einen Antrag ein, das von der Großen Koalition beschlosse­ne Netzwerks dur ch suchungs gesetz wieder abzuschaff­en. Sehr zum Missfallen­der AfD, die der FDP vorwirft, ihre Themen zu klauen.

Ruhiger, das ist nach den ersten Sitzungen klar, wird es im Bundestag so schnell nicht zugehen.

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Foto: John MacDougall, afp AfD Fraktionsc­hefs Alice Weidel und Alexander Gauland: Kalte Buffets mit Getränken, belegten Brötchen und Mettigeln mit Par teiaufschr­ift für mehrere zehntausen­d Euro bestellt.
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