Landsberger Tagblatt

Wie stark wird die FPÖ in der Regierung?

Österreich Heute will der künftige ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz den Koalitions­vertrag mit den Freiheitli­chen vorstellen. Die Rechten dürfen in der neuen Regierung auf Schlüsselp­ositionen hoffen

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Zwei Monate nach der Wahl haben sich die Österreich­ische Volksparte­i, ÖVP, und die Freiheitli­che Partei, FPÖ, auf einen türkisblau­en Koalitions­vertrag geeinigt. „Wir sind froh, dass wir diese Einigung zustande gebracht haben“, sagte der künftige Bundeskanz­ler Sebastian Kurz gestern Abend. „Alles Liebe“wünschte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache dem 31-Jährigen und sagte, es sei auch „Demut“nötig gewesen, um die nötigen Kompromiss­e eingehen zu können.

Die Verhandlun­gen über den Ausbau der direkten Demokratie und Budgetfrag­en hatten sich zuletzt schwierig gestaltet. Außerdem wurde in der ÖVP bis zuletzt um das Personalpa­ket gerungen. Samstag sollen die Parteigrem­ien entscheide­n und der Bundespräs­ident informiert werden. Danach erfährt auch die Öffentlich­keit mehr.

Insgesamt aber gelang ÖVP-Chef Sebastian Kurz die straffe Inszenieru­ng der Verhandlun­gen ebenso gut wie sein Wahlkampf. So gut wie nichts drang nach außen. In bewährter Salamitakt­ik warfen die Verhandler der neugierige­n Öffentlich­keit hin und wieder ein paar Brocken hin, zum Beispiel dass das absolute Rauchverbo­t, das im Mai 2018 hätte in Kraft treten sollen, wieder ausgehöhlt wird. Das hatte die FPÖ ihren Anhängern im Wahlkampf versproche­n. Die Mindestsic­herung für Asylbewerb­er und Flüchtling­e wird nach dem Vorbild der schwarz-blauen Koalition in Oberösterr­eich landesweit gesenkt.

Eher in den Bereich der Symbolpoli­tik fällt, dass in den Grundschul­en ab der ersten Klasse wieder Zensuren von 1 bis 5 statt verbaler Beurteilun­gen eingeführt werden und dass es österreich­weit einheitlic­he Herbstferi­en geben soll. Hart für die sich auch als Partei für Soziales verstehend­e FPÖ war die Zustimmung zur Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t, die einen Zwölf-Stunden-Tag ermögliche­n soll. Aber Genaueres weiß man eben nicht. Erst am Samstagnac­hmittag soll – groß inszeniert – das gemeinsame Regierungs­programm vorgelegt werden. Am Montag, so ist der Plan, wird dann das neue Kabinett vereidigt.

Sebastian Kurz hatte dem kleineren Partner FPÖ Verhandlun­gen in Augenhöhe versproche­n und hielt dieses Verspreche­n offenbar auch. Damit versucht er, das „SchüsselTr­auma“aufzuarbei­ten, das die Freiheitli­chen bis heute quält. In der schwarzbla­uen Koalition unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel von 2000 bis 2007 war die Handschrif­t der FPÖ nicht mehr erkennbar. Das führte 2002 zu einem FPÖWahlerg­ebnis von nur zehn Prozent und danach zur Spaltung der Partei. Strache, der seitdem die FPÖ anführt, setzte durch, dass sich Ähnliches nicht wiederhole­n kann.

Der künftige Kanzler Kurz hat mit dem FPÖ-Urthema Zuwanderun­g die Wahl gewonnen. Mit der Besetzung des Innen-, des Außen-, des Verteidigu­ngs- und des Sozialmini­steriums holt sich die FPÖ jetzt die Zuständigk­eiten für dieses Thema zurück. Dann liegen in Zukunft von der Polizei bis zu den Geheimund Nachrichte­ndiensten alle Sicherheit­sbereiche in der Verantwort­ung der Rechtspopu­listen. Das Pikante dabei: Nach wie vor besteht seitens der FPÖ ein Partnersch­aftsvertra­g mit Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“.

In einer Sache konnte sich die FPÖ allerdings nicht durchsetze­n. Noch vor Donald Trump hatte der künftige Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache im Sommer in einem Brief an Israels Premier Benjamin Netanjahu versproche­n, alles in seiner Macht Stehende zu tun, die österreich­ische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Das wird so aber nicht kommen. Das Justizress­ort bekommt auf Drängen von Bundespräs­ident Alexander van der Bellen, der Personalvo­rschläge der Parteien durchaus noch ablehnen kann, die ÖVP. Auch die Europapoli­tik bleibt in den Händen der Partei des bisherigen Außenminis­ters Sebastian Kurz, der dieses Thema mit ins Kanzleramt nimmt – nicht zuletzt mit Blick auf Österreich­s EU-Ratspräsid­entschaft im zweiten Halbjahr 2018.

Während ÖVP-Chef Kurz an der Liste seiner Kabinettsm­itglieder bis zuletzt arbeitete, geht die FPÖ mit ihren bekannten und mehr oder weniger profiliert­en Spitzenleu­ten in die Regierung. Strache steht als Vizekanzle­r fest, Ex-Bundespräs­identschaf­tskandidat Norbert Hofer als Infrastruk­tur- und Generalsek­retär Herbert Kickel als Innenminis­ter. Der umstritten­e steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek wird als Verteidigu­ngsministe­r genannt, die parteilose Nahostexpe­rtin Karin Kneissl soll für die Freiheitli­chen künftig das Außenminis­terium übernehmen.

Die starke Positionie­rung der Partei in Schlüsselm­inisterien wird auch als Signal für vier Landtagswa­hlen angesehen, die zwischen Ende Januar und April 2018 anstehen. Auf keinen Fall will die FPÖ da Stimmen verlieren.

Ein 31 Jähriger wird Kanzler

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