Landsberger Tagblatt

Glotzt nicht so romantisch auf diesen Brecht!

Theater An den Münchner Kammerspie­len geben sie wieder „Trommeln in der Nacht“– in zwei Versionen

- VON RICHARD MAYR

München Bloß nicht zu viel Gefühl, bloß kein Pathos! Die Aufforderu­ngen dazu sind unmissvers­tändlich: „Glotzt nicht so romantisch“steht auf Plakaten und Transparen­ten im Zuschauers­aal der Münchner Kammerspie­le. Gegeben wird Bertolt Brechts Drama, mit dem seine Karriere steil begann. „Trommeln in der Nacht“war sein zweites Stück, das noch vor Baal aufgeführt wurde, 1922 hier an den Kammerspie­len.

Fast 100 Jahre später kommt das Stück erneut auf den Spielplan. Zur Wiederkehr des Weltkriegs­endes begegnet das Publikum wieder dem Kriegsheim­kehrer Kragler, der vier Jahre lang als verscholle­n galt. Gerade als seine Verlobte Murk ein neues Heiratsver­sprechen gibt, mischt dieser Kragler alles auf: ein derber Kerl, roh vom Krieg, ohne Arbeit, aber mit so viel Hartnäckig­keit, dass sich Anna für ihn und nicht für Murk entscheide­t. Weil aber Kragler in diesem Schluss seine Anna dem Spartakusa­ufstand auf den Straßen vorzieht, war Brecht ein Leben lang unzufriede­n. Man könnte das Ende ja als antirevolu­tionären Impuls verstehen. Doch trotz mancher Überarbeit­ungen beließ Brecht den Schluss so.

Regisseur Christophe­r Rüping bietet zwei Fassungen an: die von Brecht und die nach Brecht. Die eine, in der sich Kragler für Anna entscheide­t, und die andere, in der Kragler am Aufstand teilnimmt. Aber diese Minuten am Schluss geben der Grundidee der Inszenieru­ng keinen völlig neuen Dreh. Jedenfalls ergibt sich dieser Eindruck nach der Premiere der Fassung von Brecht am Donnerstag­abend (Fassung zwei folgt am Sonntag). Rüping rollt das Stück historisch auf – immer auf der Spur nach dem „Glotzt nicht so romantisch“. Das Original-Bühnenbild ist nachgebaut, billige Pappkuliss­en, über denen ein roter Mond schwebt. Das hervorrage­nde Ensemble (Christian Löber, Wiebke Mollenhaue­r, Nils Kahnwald, Hannes Hellmann, Wiebke Puls und Damian Rebgetz) spielt im ersten Akt statisch und unterkühlt. So stellen sich Rüping und seine Darsteller die Uraufführu­ng vor. Eine Verbeugung vor der Theater-Vergangenh­eit, aber gleichzeit­ig auch das Setzen des Grundthema­s. So leuchten Rüping und seine Darsteller aus, wie sich das Darstellen des Menschen, vor allem seiner Gefühle, in 100 Theaterjah­ren verändert hat.

Stark, wie eine Szene lang die Tonspur einer historisch­en Aufnahme von „Trommeln in der Nacht“zu hören ist, wenn sich Kragler und Anna auf der Bühne anstarren. Dazu überschieß­ende Stimmen, scharrende­s „R“, ein fremdes Erregungsp­athos. Später bleibt Löber als Kragler dem unterkühlt­en ersten Zugriff treu, während alle anderen in der Gegenwart ankommen und sich über den Kriegs heimkehrer Romantiker lustig machen–sie brechens ein Pathos mit Ironie. Zum Schluss wird auch das gekappt, wird Brecht Textfläche. Die Schauspiel­er tragen dazu durchsicht­ige ScienceFic­tion-Metzgerkit­tel. Vor dem Ende wird das Publikum beschimpft: weil es Romantik von den Schauspiel­ern erwartet. Nur gezwungene­rmaßen spielen die Schauspiel­er das Ende. Dann wird der rote Pappmond abgehängt. Im letzten Bild werden Mond und Kulissen durch einen Häcksler gejagt. Deutlicher kann man nicht zeigen, dass man gefälligst nicht so romantisch glotzen soll. Starker Beifall für eine starke Inszenieru­ng.

Aufführung­en 20. Dezember, 1. Ja nuar (Fassung von BB); 17. und 26. Dezember, 12. Januar (Fassung nach BB)

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Foto: Julian Baumann, MK Und der Mond so rot: Christian Löber, Wiebke Puls.

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