Landsberger Tagblatt

Ein Stall ist keine Herberge

Heimelig und sauber, ein Kindlein auf Stroh, Ochs und Esel: Mit dem Krippenbil­dideal haben reale Ställe wenig gemein. Ein vorweihnac­htlicher Besuch bei Bauern, Kühen und Schweinen

- / Von Stefanie Wirsching

…und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge…

Die erste Stallgesch­ichte, Lukasevang­elium. Es ist natürlich die schönste. Von Tieren ist darin nicht die Rede. Von Stroh auch nicht. All das kam erst später dazu. Aber das Bild zur Geschichte ist genau so nun seit Jahrhunder­ten in den Köpfen: ein Stall, so heimelig, so sauber, dass ein Baby darin seine erste Nacht sicher verbringt, sie in der Krippe verschläft, daneben die wachenden Eltern und sanft schnaufend Ochs und Esel. Wenn man kleine Kinder bittet, ein Bild von einem Stall zu malen, dann kommt etwas Ähnliches heraus: Haus, Stroh, Tiere, kein Baby natürlich und statt des Esels vielleicht ein Pferd. Oder ein Schwein, das grinst. Und irgendwo noch ein toller Traktor. Ein glückliche­r Ort jedenfalls für Mensch und Tier. Die Kinder halt. Wenn man Erwachsene um dasselbe bitten würde, sähe es anders aus. Die wissen nämlich schon: Ein Stall ist doch kein Ponyhof! Da muss gewirtscha­ftet werden, da stehen nicht nur ein Ochs und Esel, sondern auch mal 1500 Schweine. Da stinkt es auch. Da weiß man nicht, wohin mit der Gülle. Definitiv nicht der richtige Ort für ein Neugeboren­es. Wenn man aber Erwachsene fragen würde, wie sie sich einen idealen Bauernhof vorstellen, dann käme einer raus wie bei den Kindern: Wie gemalt!

Michael Lerf, 30, hat drei kleine Kinder und 70 Kühe. Und natürlich einen Stall. Der steht in Dennenberg, Unterallgä­u, direkt neben dem Wohnhaus und der Molkerei. Zum Stall geht es eine Eisentrepp­e hinunter, jetzt aber bleibt man erst mal oben stehen, und Michael Lerf sagt: „Im Winter schaut’s trauriger aus.“Nein, nicht das Vieh! Keine Ah- nung, wie sich eine glückliche Kuh im Gesichtsau­sdruck von einer sagen wir mal weniger glückliche­n unterschei­det. Aber die Kühe bei Lerfs wirken irgendwie alle auf eine ziemlich gleiche Art recht zufrieden. Trauriger, damit meint Lerf die Natur. Die Bäume kahl, ohne Grün, der Himmel heute dezemberfa­hl. Das Vieh übrigens braun in verschiede­nen Nuancen, Allgäuer Braunvieh eben!

Die Stallgesch­ichte, die Michael Lerf erzählen kann, ist jedenfalls auch eine schöne. Auch wenn sie manchen Menschen vielleicht immer noch nicht schön genug ist. Es kommt viel sogenannte­r „Kuhkomfort“darin vor, eine besondere Milch, die es in Bayern sonst nirgends gibt, außerdem ein Preis und knapp erzählt geht sie so: Vor einundzwan­zig Jahren hat der Vater, damals schon Biolandbau­er, den Stall gebaut. Mit Fenstern, Laufgängen, und links und rechts einem Auslauf, wo die Kühe raus können, wenn sie auch raus wollen. So hell, so viel Luft, so viel Freiheit, das war damals was. Letztes Jahr hat der Vater den Hof übergeben und im Januar ist Michael Lerf nach Berlin zur Grünen Woche gefahren, weil die Vorzugsmil­ch der Lerfs als eines der besten Bioprodukt­e Bayerns ausgezeich­net wurde. Vor kurzem war deswegen auch der Bayerische Rundfunk da für seine Sendung „Unser Land“. Schöne Geschichte­n über Ställe hört man gerne!

Und das ist die Stelle, an der man jetzt aber auch mal auf die anderen Geschichte­n kommen muss, von denen man hört. Und die man auf keinen Fall hören will, wenn man gerade vor einem Schnitzel sitzt. Da will man auch kein Zitat serviert bekommen wie dieses. „Zu wenig Platz, zu wenig Beschäftig­ungsmateri­alien, zu wenig wechselnde Klimaeinfl­üs- Das ist keine zukunftsfä­hige Tierhaltun­g.“Das sagt jetzt nicht einer von Peta, der Tierrechts­organisati­on, sondern es kommt aus dem Munde von Prof. Harald Grethe, Mitglied im Wissenscha­ftlichen Beirat der Bundesregi­erung. Vor zwei Jahren legte der Beirat einen Bericht zur Nutztierha­ltung in Deutschlan­d vor, in dem die Experten zu dem Fazit kamen. So, wie es in vielen deutschen Ställen zugeht, so kann es nicht weitergehe­n. O-Ton: „Nicht vertretbar und gesellscha­ftlich nicht akzeptabel.“Eine Stallmiser­e also!

Man könnte es auch sagen: Der moderne Stall hat ein gewaltiges Imageprobl­em. Taugt schon lange nicht mehr als Idylle und schon gar nicht als der heimelige Ort der Weihnacht. Weshalb man ihn zum Beispiel in der Werbung auch kaum sieht, stattdesse­n bärtige Bauern, die mit der Sense auf den Almwiesen hantieren, mampfende Kühe und happy Hühner im Gras, grinsende Schweine, fliegende Würste! Aber keinen Stall. Weshalb auch die Kinderbüch­er voll sind zwar von Ställen, in denen der Bauer das Huhn beim Namen kennt, in denen Mama Muh glücklich vor sich hinschauke­lt und die Ferkel blitzrosa durchs Stroh wetzen, Bauernhofr­omantik eben, aber niemals das zu sehen ist, was ja auch Realität ist: Agrarfabri­ken mit tausend Tieren und mehr. Gesellscha­ftlich nicht akzeptabel!

Eine andere Stallgesch­ichte daher. Sie handelt von Gabriele Mörixmann, 44, Landwirtin aus der Nähe von Osnabrück. Vor sechs Jahren hat die Familie den Stall umgebaut. In einen Aktivstall. Seitdem gibt es für ihre rund 1000 Schweine verschiede­ne Bereiche, solche zum Wühlen im Stroh, andere zum Ruhen, Fressen oder auch Spielen. Wenn die Schweine wollen, können sie auch ins Bällebad. Aber auch bei Mörixmann standen schon Tierschütz­erinnen auf dem Hof und wollten die Tiere freilassen. Wer eine fleischfre­ie Welt will, der gibt sich mit einem Bällebad nicht zufrieden. Wer sich ums Tier sorgt, aber gerne auch ein Steak auf dem Teller liegen hat, dem erklärt Gabriele Mörixmann, dass das geht, aber eben kostet. Das Fleisch ihrer Schweine ist günstiger als Biofleisch, aber liegt etwa 30 Prozent über dem von konvention­ell gehaltenen Mastschwei­nen. Mörixmann ist ein Typ, der das Leben positiv sieht. Aber nicht schönredet. Es gab auch Zeiten, sagt sie, da war sie sich nicht mehr sicher, ob sie das noch länger wird durchhalte­n können. Finanziell. Stroh, das weiß man, wird nicht so einfach zu Gold. „Tierwohl, Umweltschu­tz, das zählt in unserer Gesellscha­ft viel. Aber irgendwie interessie­rt es keinen, dass sich unser Betrieb auch rechnet“, sagt sie: „Uns aber natürlich schon.“

Winnie Sonntag, Agrarwisse­nschaftler­in an der Georg-AugustUniv­ersität Göttingen, arbeitet mit am Forschungs­projekt „Social.Lab – Nutztierha­ltung im Spiegel der Gesellscha­ft.“Es geht bei dem Projekt im Grunde darum, was der Gesellscha­ft an den deutschen Ställen nicht passt, wie sie die Tierhaltun­g wahrnimmt und wie die Akzeptanz verbessert werden könnte. Was die Forscher festgestel­lt haben: Das, was sich der Normalbürg­er unter eise. nem Stall vorstellt, hat mit der Realität wenig zu tun. Die einen Stallgesch­ichten also nur recht wenig mit den anderen. Die Bilder, die in den Köpfen umherschwi­rren, ließen sich mit den Begriffen „Museumslan­dwirtschaf­t“und „Massentier­haltung“kennzeichn­en. Kein Dazwischen also! Weil das Dazwischen ja auch kaum mehr einer kennt. Woher auch, wenn man in der Stadt, in der Vor- oder in der Vorvorstad­t lebt. Vielleicht aus der Sendung „Bauer sucht Frau“? Anfang des 20. Jahrhunder­ts arbeiteten noch etwa 38 Prozent der deutschen Bevölkerun­g in der Landwirtsc­haft, heute sind es noch etwa zwei. Der Stall ist zu so etwas wie einem exotischen Arbeitspla­tz geworden.

Was die Gesellscha­ft noch in Ordnung findet, das ist ein Stall wie im Milchhof Lerf. Der sich mit dem schönen Bild im Kopf irgendwie deckt. Den man sich mit den Kindern in den Ferien gerne mal anschaut. Zwei Drittel der Befragten bewerteten einen solchen Hof als akzeptabel. Da wird dann auch mehr für die Milch bezahlt. Das mieseste Image haben dagegen die Geflügel- und Schweinest­älle. „Da brauchen wir langfristi­g etwas anderes“, sagt Sonntag. Verbessert­e Haltungssy­steme, Kompromiss­e. Schweinezü­chterin Mörixmann versucht es. Den Spagat zwischen Ökologie und Ökonomie, wie sie sagt. Mehr Tierwohl, dennoch bezahlbare­s Fleisch. Mehr Stallglück, dennoch schwarze Zahlen. „Aber alle, die diesen Weg gehen, kämpfen genauso wie wir.“Mit der Vermarktun­g, mit dem Emissionss­chutz, mit der Politik. Ein Dilemma. Und die Landwirte stecken mittendrin. Dass es da Unsicherhe­it gibt, manchmal auch eine gewisse Bockigkeit, versteht Sonntag: „Jahrelang wurde ihnen zugetragen, für den Weltmarkt zu produziere­n, und plötzlich kommen alle mit dem Tierwohl.“Und wollen am liebsten Ställe, für die ähnliche Kriterien gelten wie fürs eigene Zuhause: schön hell, sauber und weitläufig. Früher aber war das den Leuten ziemlich wurscht.

Und damit noch einmal zu Michael Lerf. Sieben Stunden ist er täglich im Stall. Ab halb sechs Uhr morgens. Von Montag bis Samstag. Am Sonntag sind es nur fünf Stunden. „Wenn du das 365 Tage im Jahr machst, musst du deine Arbeit schon mögen“, sagt Michael Lerf. Also auch den Stall. Er sagt, natürlich gäbe es Tage, da will man eigentlich auch mal nichts tun, aber er gehe eigentlich immer gerne in seinen Stall. Seit sie vor drei Jahren auf Heu als Futter umgestellt haben, rieche es jetzt auch gut. Eine schöne Stallgesch­ichte. Aber: Auch bei ihm sind die Kälbchen zum Beispiel nur einen Tag bei der Mutter. „Natürlich ist es immer schön, wenn das Kalb bei der Mutter ist. Aber dann gibt es halt auch keine Milch.“Auf Kinderbild­ern aber ist das Kalb immer bei der Kuh.

Stallidyll­e und Stallreali­tät. Die Agrarwisse­nschaftler­in Sonntag sagt: „Das, was die Leute immer wollen, können wir nicht hundertpro­zentig liefern.“Einen Stall wie gemalt. Mit sanft schnaufend­em Ochs und Esel. Und Michael Lerf, der Biobauer, sagt: „Man versucht, das Beste zu machen.“Auch am Weihnachst­ag. Um halb zehn Uhr wird er noch einmal in den Stall schauen. Einer muss sich kümmern. Die Kuh, sagt Lerf, ist ja immer da. Letzte Frage: Ob er schon einmal im Stall übernachte­t hat. Da lacht Lerf. Noch nie. Schon gar nicht im Winter. Tiergerech­ter Außentempe­raturstall bedeutet: Wenn es draußen kalt ist, dann auch drinnen. Ein Stall ist eben keine Herberge.

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Foto: Wirsching Michael Lerfs Stall in Dennenberg im Unterallgä­u

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