Landsberger Tagblatt

Die Sonne auf Erden

Das Energiepro­blem der Menschheit endgültig lösen – das wollen Forscher in Frankreich. Noch ist die Frage offen: Vision oder Größenwahn?

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Dort, wo einmal die Sonne liegen soll, klafft jetzt ein Riesenloch. Das ist schon ein großer Fortschrit­t. Denn die Baustelle für den hoch umstritten­en internatio­nalen Kernfusion­sreaktor Iter in Südfrankre­ich, unweit von Aix-en-Provence, liegt um Jahre hinter dem ursprüngli­chen Zeitplan zurück. Das Energiepro­blem der Menschheit ein für allemal lösen, nicht weniger wollen die Bauherren hier. Wenn das gelingt, käme es auf ein paar Monate am Ende nicht an. Diesen Eindruck will auch der neue Chef des pharaonisc­hen Projekts, Bernard Bigot, verbreiten. Nun verkündete er, die Hälfte der Arbeiten auf dem Weg zum Erstbetrie­b im Jahr 2025 seien geschafft.

Strom für Milliarden, klimafreun­dlich und ungefährli­ch: Das ist das Verspreche­n der Kernfusion, die den Prozess nachbilden will, der in der Sonne abläuft. Die Verschmelz­ung von Wasserstof­f-Atomkernen zu Helium soll enorme Mengen Energie freisetzen. Der Brennstoff dafür ist auf der Erde im Überfluss vorhanden. Wasserstof­f im Volumen einer Ananas könnte so viel Energie schaffen wie 10 000 Tonnen Kohle. Und das ohne klimaschäd­liche CO2-Emissionen oder das Risiko einer Kernschmel­ze wie in Atomkraftw­erken.

Kritiker, etwa bei den deutschen Grünen, sehen Iter dagegen als Milliarden­grab, die Kosten sind von den ursprüngli­ch angepeilte­n fünf Milliarden auf schätzungs­weise 20 bis 22 Milliarden Euro gestiegen. Und sie unken zudem, dass die Fusionsene­rgie schlicht zu spät komme, weil sie, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnte­n einsatzfäh­ig sei. Die Treibhausg­asemission­en müssten im Kampf gegen den Klimawande­l aber schon vorher deutlich sinken, und die erneuerbar­en Energien hätten sich bis dahin durchgeset­zt, so die Argumente. Iter-Generaldir­ektor Bigot weiß, dass vor der zweiten Hälfte dieses Jahrhunder­ts keine massive Stromprodu­ktion mit Fusionskra­ftwerken denkbar ist. Er glaube aber, sagt der Franzose, dass bis dahin noch keine Lösung für das Energiepro­blem gefunden sein werde. Erneuerbar­e Energien allein könnten den immer steigenden Energiebed­arf nicht decken.

Die Kernfusion ist technisch anspruchsv­oll: Der Brennstoff soll bei Iter auf etwa 150 Millionen Grad Celsius aufgeheizt werden, das ist zehnmal so heiß wie die Kerntemper­atur der Sonne. Das dabei entstehend­e Plasma muss von extremen Magnetfeld­ern berührungs­frei in der Brennkamme­r eingeschlo­ssen werden, da es keinen Stoff gibt, der diesen Temperatur­en standhalte­n kann. Fünfzig Megawatt Energie verschling­t der Sonnenofen, während er gleichzeit­ig 500 Megawatt ausspucken soll. Alles hier ist von gigantisch­em Ausmaß. Der Prozess sei aber weitgehend frei von Risiken: Das Plasma ist nur stabil unter Bedingunge­n, die mit großem Aufwand erzeugt werden. Sind diese Voraussetz­ungen nicht mehr gegeben, stoppt der Prozess von selbst.

Der Weg der Fusionsene­rgie ist lang, die erste kontrollie­rte Kernfusion gab es bereits vor mehr als 25 Jahren im britischen Culham. Der Experiment­alreaktor in Südfrankre­ich soll der Technik nun den Weg in die Praxis ebnen. Ein Problem des Forschungs­projektes ist die

Hier arbeitet Russland mit Amerika und Europa

komplizier­te Organisati­on. Mehr als 30 Länder sind beteiligt: EU, USA, Russland, China, Japan, Indien und Korea – und alle sollen möglichst gleichmäßi­g von dem Mammutvorh­aben profitiere­n. Deshalb leisten die Partner ihren Beitrag größtentei­ls durch die Herstellun­g und Anlieferun­g von Komponente­n, was die heimischen Industrien stärken soll. Der 18 Meter hohe Magnet im Herzen von Iter wird etwa in Kalifornie­n gebaut und in sechs Modulen nach Frankreich geschafft. Ein Vakuum-Behälter wird zum Teil in Korea hergestell­t.

Der französisc­he Verwaltung­sfachmann Bigot wurde 2015 an die Spitze von Iter geholt, um das Projekt wieder auf Kurs zu bringen. Er straffte die Abläufe, will wie bei großen Industriep­rojekten arbeiten. Bigot hatte auch den vorherigen Zeitplan über den Haufen geworfen, der nicht realistisc­h gewesen sei. Das erste Plasma ist nun für 2025 angesetzt, und auch dieser Plan ist auf Kante genäht. Die letztlich gewollte Mischung aus den Wasserstof­f-Varianten Deuterium und Tritium wird wohl erst zehn Jahre später brennen. Auf Grundlage dieser Erfahrunge­n könnte dann ein Demonstrat­ionskraftw­erk entstehen, in dem erstmals Strom aus Fusionsene­rgie erzeugt wird. Die Forscher brauchen also weiterhin einen langen Atem. Und Überzeugun­gskraft – zuletzt sorgte vor allem die Position der US-Regierung unter Präsident Donald Trump für Unsicherhe­iten. Gerade erst war Bernard Bigot wieder in den USA, um die Amerikaner zu überzeugen, an Bord zu bleiben. Sebastian Kunigkeit, dpa

 ?? Foto: Robert Arnoux, Iter ?? So ist der Stand auf der vielleicht größten Wissen schafts Baustelle der Welt: ein Bild des im Entstehen begriffene­n Kern fusionsrea­ktor Iter in Südfrankre­ich.
Foto: Robert Arnoux, Iter So ist der Stand auf der vielleicht größten Wissen schafts Baustelle der Welt: ein Bild des im Entstehen begriffene­n Kern fusionsrea­ktor Iter in Südfrankre­ich.
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