Eine Rose ohne Dornen
Serie (35) Unsere einheimischen Rosen duften nicht, dafür produzieren sie gesunde Früchte. Und von denen hat jetzt im Winter nicht nur der Mensch etwas. Warum die Gebrüder Grimm irrten
Landsberg Rosen im Winter vorzustellen mag seltsam erscheinen – warum nicht im Sommer, wenn sie in voller Blüte stehen? Weil man die Wildrosen-Arten anhand der Blüten nicht gut unterschieden kann, am leichtesten geht es, wenn sie bereits ihre Früchte, die Hagebutten, tragen – also im Herbst und Winter. Denn jede Wildrose hat ihre ganz eigenen, typischen Hagebutten.
Sie sind je nach Art kugelrund bis länglich, glatt oder stachelig, rot oder schwarz gefärbt, weich oder hart, mit oder ohne „Krönchen“aus Kelchblättern oben. Deshalb ist Rosenbestimmung für den Botaniker eher eine Herbst- oder Winterangelegenheit, denn die Hagebutten bleiben bis mitten in den Winter hinein hängen. Im Landkreis kommen sieben Arten von Wildrosen natürlicherweise vor, einige davon noch recht häufig, zum Beispiel die blassrosa blühende Hundsrose (Rosa canina – ihren Namen hat sie von den gekrümmten Stacheln, die aussehen wie die Eckzähne eines Hundes) die oft in Hecken als Kletterrose wächst, oder die leuchtend weiß blühende Kriechrose (Rosa arvensis), die als Bodendecker an sonnigen Waldrändern vorkommt. Die Mai-Rose (Rosa majalis), am Lech an einigen Stellen zu finden, öffnet ihre rosa Blüten schon Mitte Mai, noch lange vor der Rosensaison im Ziergarten. Sie ist mit ihren leuchtend roten, stachellosen Zweigen auch sonst leicht von anderen Wildrosen zu unterscheiden. Um noch einen populären Irrtum aufzuklären: Rosen haben genau genommen keine Dornen, sondern Stacheln – Stacheln werden wie Haare als Aufwüchse auf den Stängeln und Blättern der Pflanzen gebildet, man kann sie von der Rinde ablösen. Dornen hingegen sind spitze, kurze Äste oder umgewandelte Blätter, man kann sie nicht so einfach von der Rinde lösen. „Dornröschen“ist allerdings von Märchenautoren geschrieben worden, nicht von einem Botaniker ...
Und noch eine Überraschung: Die Blüten aller heimischen Wildrosen duften nicht – bis auf eine Ausnahme: Die Essig-Rose (Rosa gallica) ist die einzige Art in Mitteleuropa, die nach Rosen duftet. Sie wurde als Nutz- und Zierpflanze von den Römern aus Südeuropa mitgebracht. Auf sie gehen die meisten Züchtungen von winterharten, duftenden Gartenrosen zurück. Der typische Rosenblütenduft, der in Parfüms und Speisen genutzt wird, findet sich vor allem in Wildrosen aus Kleinasien.
Und auch von der Blütenfarbe her sind unsere einheimischen Rosen eher schlicht: von reinweiß über Rosatöne bis hin zu Dunkelrosa. Kein Rot, kein Gelb, diese Farbtöne der bekannten Zuchtrosen stammen alle von Einkreuzungen mit asiatischen Arten. Was unsere Wildrosen jedoch haben: Sie bilden Früchte aus, die bekannten Hagebutten. Denn die meisten Zuchtrosen sind gefüllte Sorten, das heißt, sie wurden so gezüchtet, dass sie weder Staubblätter noch Fruchtblätter ausbilden – diese sind bei den gefüllten Blüten ebenfalls in bunte Blütenblätter umgewandelt.
Das Ergebnis freut den Rosenliebhaber, denn man erhält große, bunte und lange haltbare Blüten, die allerdings weder Pollen noch Nektar für Insekten bieten, und auch keine Früchte für Vögel und Kleintiere im Herbst und Winter. Sogenannte halbgefüllte Rosensorten sind ein wunderschöner Kompromiss, denn sie bieten Augenweide und Futter für heimische Tiere (wenn man die verblühten Blüten stehen lässt, damit sich daraus Hagebutten entwickeln können). Sie enthalten viel Vitamin C und sind eine nahrhafte Futterquelle für viele Wintertiere.
Vor einem Jahr wurden in dieser Serie im Herbst fruchtende Sträucher vorgestellt – oft mit dem Hinweis, dass die Früchte für Vögel ungiftig sind, für Säugetiere jedoch giftig. Denn während Vögel die Samen als Ganzes verschlucken und wieder ausscheiden, zerbeißen Mäuse, Eichhörnchen und Co. meist auch die Samen. Das möchte die Pflanze vermeiden, und deswegen produzieren einige Arten ein Gift, um Samenräuber abzuhalten.
Die ungiftigen Rosen lösen das Problem anders: Hier sind die Samen im Fruchtfleisch von feinen Härchen umgeben, die bei Berührung mit der Haut sofort Juckreiz auslösen. So fressen die Tiere, die die Früchte verbreiten, nur das Fruchtfleisch, die juckenden Samen lassen sie fallen – und daraus wachsen an anderer Stellen neue Rosensträucher.
Jeder Lausbub kannte früher die Wirkung der Hagebuttenhaare als Juckpulver. Und auch in der Küche können die Hagebutten verwendet
Sieben Arten gibt es im Landkreis
Marmelade oder lieber Juckpulver?
werden, zum Beispiel, um Marmelade zu kochen. Die Haare muss man entweder mit den Samen auspassieren, oder sie mit verkochen. Leider werden unsere Wildrosen immer seltener, denn natürliche Hecken verschwinden immer mehr aus der Landschaft. Eine artenreiche Wildhecke bietet nicht nur Wildrosen Lebensraum, sondern beherbergt viele Tier- und Pflanzenarten.